Mutterschutz bei Biostoffexposition

Schwangerschaft

Gesundheitliche Risiken durch schwangerschaftsrelevante Biostoffe sind aufgrund der etablierten Schutz- und Präventionsmaßnahmen (beispielsweise rechtzeitige Information, Impfungen, Hygiene, persönliche Schutzausrüstung) sowie der am Arbeitsplatz geltenden Vorschriften zur Infektionsvermeidung selten geworden.

Beispielsweise belegen die für die Gesamtbevölkerung gemeldeten Zahlen der akuten Virusinfektionen Masern und Röteln, die impfpräventabel sind - also durch eine rechtzeitige und vollständige Impfung verhindert oder abgeschwächt werden können - , dass sich diese Erkrankungen bei Schwangeren auf seltene Einzelfälle beschränken. Im Fall der Röteln wurden Erkrankungen im Mutterleib oder bei der Geburt seit mehreren Jahren nicht mehr registriert und Meldungen zu Erkrankungen nach der Geburt liegen im niedrigen einstelligen Bereich. Deutschland wurde 2021 rückwirkend für die letzten Jahre als frei von endemisch auftretenden Röteln erklärt. Wie in vielen anderen europäischen und amerikanischen Ländern gelten Rötelnviren damit in Deutschland als eliminiert.

Eine ähnlich erfreuliche Entwicklung wird für die Masern in den nächsten Jahren prognostiziert. Mitverantwortlich dafür sind die seit dem Frühjahr 2020 geltenden Vorgaben zur verpflichtenden Masernimpfung in Gemeinschaftseinrichtungen, die auch den Schutz vor Röteln einschließt (Masernschutzgesetz, 2020) und die zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie eingeführten Hygiene- und Abstandsregeln. Auch wenn die Impfprävention der Windpocken noch nicht so lange etabliert ist, sind seit Empfehlung der Varizellenimpfung durch die Ständige Impfkommission im Jahr 2004 die Zahlen der gemeldeten Infektionen in der Bevölkerung von jährlich etwa 800.000 auf weniger als 10.000 Fälle zurückgegangen. Folglich findet man die Windpocken auch bei Schwangeren nur noch sehr selten. Unter den impfpräventablen Virusinfektionen ist mit größeren Infektionszahlen nur bei der während der Wintermonate epidemisch auftretenden Influenza zu rechnen.

Ebenfalls ist aufgrund der vorliegenden Daten davon auszugehen, dass das Infektionsrisiko mit blutübertragenen Biostoffen wie Hepatitis B-, Hepatitis C- und humanen Immundefizienzviren (HIV) bei Einhaltung der erforderlichen Präventions- und Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz sehr gering ist und nicht über das allgemeine Infektionsrisiko in der Bevölkerung hinaus geht.

Das größte Risiko für Schwangere geht demnach von nicht impfpräventablen Infektionen mit Zytomegalieviren (CMV) und Parvoviren B19 aus. Sie werden durch Kontakt zu Ausscheidungsprodukten (Speichel, Nasensekrete, Urin etc.) von unter drei- beziehungsweise unter sechsjährigen Kindern übertragen, die an den Infektionen überwiegend nicht erkranken oder nur leichte Symptome aufweisen. In diesen beiden Fällen erfolgt der Großteil der Übertragungen jedoch durch außerberufliche Exposition, die mutterschutzrechtlich nicht relevant ist.

Durch Nahrungsmittel übertragbare Infektionskrankheiten (Toxoplasmose, Listeriose) können im beruflichen Kontext wie beispielsweise in der Nahrungsmittelindustrie und Gastronomie relevant sein. Auch die Infektion mit solchen Erregern lässt sich jedoch verhindern - durch Hygienemaßnahmen und indem man die Aufnahme bzw. den Verzehr potenziell kontaminierter Nahrungsmittel vermeidet. In der Land-, Forst- und Waldwirtschaft sowie in Gärtnereien tätige Menschen können in Kontakt zu mit Katzen- oder Nagetierkot) kontaminierter Erde kommen und so eine erhöhte Infektionsgefährdung bezüglich Toxoplasmose beziehungsweise Lymphozytärer Choriomeningitis haben. Diese Gefährdung lässt sich durch das Tragen von Handschuhen und Atemschutz sowie Hygienemaßnahmen verringern. Direkte Kontakte mit möglicherweise infizierten Katzen und Nagetieren sollten Schwangere am Arbeitsplatz vermeiden.

Als Hilfestellung für Arbeitgeber zur Einschätzung möglicher Infektionsrisiken dient das Hintergrundpapier "Information zur Relevanz von Infektionserregern in Deutschland aus Sicht des Mutterschutzes" vom Ausschuss für Mutterschutz. Dieses Grundlagendokument enthält eine Liste mit Biostoffen, die in Deutschland als schwangerschaftsrelevant gelten, und deren Bewertung hinsichtlich ihrer Bedeutung für beruflich exponierte Schwangere. Schwangerschaftsrelevant sind berufsbedingte Infektionen, für die publizierte Daten zeigen, dass sie die Gesundheit des ungeborenen Kindes und/oder der Schwangeren und/oder des Neugeborenen beeinflussen.

Zu jedem auf der Liste erfassten Infektionserreger gehört ein Steckbrief, in dem seine Eigenschaften, der Verlauf der durch ihn verursachten Infektionen und Erkrankungen im Allgemeinen, bei Schwangeren, Feten und Neugeborenen im Besonderen, die Möglichkeit der Übertragung durch Stillen sowie die Möglichkeiten zur Prävention zusammengefasst werden.

Häufig gestellte Fragen zu luftgetragenen Infektionserregern beantwortet der Ausschuss für Mutterschutz (AfMu) in einer FAQ und spricht unverbindliche Handlungsempfehlungen aus.

Stillzeit

Grundsätzlich ist das Risiko des Kindes, an einer Infektion zu erkranken, beim Stillen geringer als das des Ungeborenen, bei dem die Übertragung über die Plazenta erfolgt. Außerdem haben Säuglinge Nestschutz: Die Antikörper der Mutter verleihen dem Kind eine mütterliche Leihimmunität. Ohne diese Leihimmunität hingegen ist das infektionsbedingte Erkrankungsrisiko generell für Neugeborene und Säuglinge während der ersten acht Lebenswochen besonders hoch.

Mutterschutzrechtlich werden nur diejenigen Übertragungswege zum Kind berücksichtigt, die mit dem Vorgang des Stillens direkt verbunden sind: Muttermilch, das Blut der stillenden Frau durch Verletzungen beim Stillprozess oder erregerhaltige Hautläsionen an der Brust der stillenden Frau. Die meisten Infektionen werden nicht über diese Übertragungswege auf das Kind übertragen. Durch Stillen übertragbare Infektionen des Menschen, die in Deutschland relevant sind, sind u.a. HIV, Hepatitis-B, Hepatitis-C Viren, Windpocken (Varicella-Zoster Virus), Herpes simplex, Zytomegalieviren. Übertragungen aufgrund des engen Kontakts des Kindes mit der stillenden Frau beim Stillvorgang bleiben grundsätzlich unberücksichtigt, da dieses Übertragungsrisiko bei Nichtstillenden in gleicher Weise besteht und damit nicht den mutterschutzrechtlich erforderlichen Stillbezug aufweist. Eine mögliche Wirkung auf das Stillen (Stillqualität) ist gegebenenfalls zu berücksichtigen. Wenn das Kind am Arbeitsplatz gestillt wird, ist mutterschutzrechtlich zudem der mögliche Kontakt des Kindes mit anderen Beschäftigten und Personen im Betrieb zu beachten (siehe auch die Hinweise und Empfehlungen zum Schutz stillender Frauen des Ad-hoc-Arbeitskreises Stillschutz der Regierungspräsidien Baden-Württembergs).

Biostoff-Regelungen für Schwangere nach § 11 MuSchG

Für Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen mit Expositionen gegenüber Biostoffen (Viren, Bakterien, Pilze) gelten die Regelungen nach § 11 Absatz 2.

Hiernach liegt eine unverantwortbare Gefährdung für eine Schwangere oder ihr Kind insbesondere dann vor, wenn die schwangere Frau mit Biostoffen, die in die Risikogruppe 4 im Sinne von § 3 Absatz 1 der Biostoffverordnung einzustufen sind, mit Rötelnvirus oder mit Toxoplasma (beide Risikogruppe 2) in Kontakt kommt oder kommen kann. Für andere Biostoffe der Risikogruppen 2 oder 3 gilt, dass eine Tätigkeit dann unzulässig ist, wenn die Schwangere in „einem Maß“ mit ihnen in Kontakt kommt/kommen kann, das für Mutter und Kind eine unverantwortbare Gefährdung darstellt. Konkrete Angaben über dieses „Maß“ macht das MuSchG an dieser Stelle nicht. Es gilt jedoch die Definition zur unverantwortbaren Gefährdung aus § 9 Absatz 2 MuSchG (Eintrittswahrscheinlichkeit vs. Schwere des möglichen Gesundheitsschadens).

Eine unverantwortbare Gefährdung liegt ebenfalls vor, wenn der Kontakt mit den genannten Biostoffen therapeutische Maßnahmen (z. B. Behandlung einer infizierten Schwangeren mit Arzneimitteln, die die Gesundheit des Kindes beeinträchtigen können) erforderlich machen kann, die selbst eine unverantwortbare Gefährdung darstellen.

Biostoff-Regelungen für Stillende nach §12 MuSchG

Für Stillende gelten nach MuSchG §12 Absatz 2 mit Ausnahme der Regelung zu Rötelnvirus und Toxoplasma die gleichen Vorgaben hinsichtlich des Vorliegens bzw. des Ausschlusses einer unverantwortbaren Gefährdung wie für Schwangere (siehe oben). Rötelnvirus und Toxoplasma werden wie die übrigen Infektionserreger der Risikogruppe 2 behandelt.