Ermittlung eines optimalen Kantenradius von Kindergartenmöbeln zur Minimierung von Verletzungsrisiken bei Kopfkollisionen

Projekt-Nr. IFA 5140

Status:

abgeschlossen 06/2019

Zielsetzung:

In Kindertageseinrichtungen sind Stürze auf Möbelkanten eine wesentliche Ursache für Unfälle mit schwereren Verletzungsfolgen. Für die Überarbeitung der bisherigen Empfehlungen zur konkreten Kantengestaltung in der DGUV Regel 102-002 „Kindertageseinrichtungen“ wird eine bessere empirische Datengrundlage benötigt. Die z. Zt. angewendeten Empfehlungen (Abrundungsradius >= 2 mm) besitzen keine ausreichenden wissenschaftlichen Grundlagen und werden insbesondere von den Herstellern der Kindergartenmöbel immer wieder in Frage gestellt. Im Fokus stehen dabei Unfälle mit dreijährigen Kindern, die die Obergrenze der U3-Altersgruppe bilden. Für eine typische Unfallsituation (Sturzvariante) war eine empirische Untersuchung der Kollisionsbeanspruchungen durchzuführen. Dabei sollten bestimmte Einflussgrößen auf die Verletzungsschwere (z. B. Kollisionspunkte und Kollisionsgeschwindigkeit des Kopfes), praxisbezogen variiert werden. Als biomechanisch-/physikalische Belastungsgrößen sollten im Wesentlichen die Kollisionskräfte und -drücke sowie die kinematischen Größen der Massen des Körpermodells gemessen und ausgewertet werden. Auf dieser Datenbasis waren durch Analyse und vergleichende Bewertungen konkrete sicherheitstechnische Anforderungen zur Gestaltung der Möbelkanten abzuleiten. Dabei waren begleitend entsprechende medizinische Expertisen zu wahrscheinlichen Verletzungen auf Basis der Mess- und Auswertegrößen einzubeziehen.

Aktivitäten/Methoden:

Als Untersuchungsmethode wurde eine Simulation des Unfallszenarios mit Erfassung der Belastungskriterien mittels dynamischer Strukturanalyse mit Finite-Elemente(FE)-Berechnung eingesetzt. Als Sturzvariante wurde ein laufendes Kind angenommen, welches durch Stolpern z. B. an einer Bodenkante zu Fall kommt und mit dem Kopf auf die Kante eines Möbelstückes schlägt. Am Beginn der Untersuchungen stand die Ermittlung typischer Geh- und Laufgeschwindigkeiten von Kindern der betrachteten Altersgruppe U3. Dazu fanden in drei Kindertagesstätten Messungen mit insgesamt 30 Kindern statt. Für die FE-Parameterstudie wurden die Geh- bzw. Laufgeschwindigkeiten 0,25, 1,5 und 2,5 m/s festgelegt. Der Körper eines Kindes wurde als Mehrmassenmodell mit biofidel ausreichender Kopplung aufgebaut. Dabei wurden die Größen- und Massenverteilung sowie die Kopplungskennwerte der Einzelkörper aus anthropometrischen Atlanten sowie den technischen Spezifikationsdaten für Kinderdummys entnommen. Das anatomische FE-Modell wurde aus einem realistischen Computertomografie(CT)-Datensatz eines dreijährigen Kinderkopfes gewonnen. Dieser Datensatz wurde dann mit einer Spezialsoftware in CAD-Daten umgewandelt, für die FE-Berechnung entsprechend vernetzt und mit den biologischen Festigkeitsparametern aus den im Jahr 2016 verfügbaren Datenbanken versehen (FE-Kopfmodell). Die gesamte Datenanpassung und FE-Berechnung wurde bei der Firma CADFEM durchgeführt. Die FE-Berechnungen wurden mit den festgelegten Variationen, insbesondere verschiedene Kanten (2, 4, 6, 8 und 10 mm Radius), systematisch wiederholt. Im Labor wurde das Berechnungsmodell durch experimentelle Nachstellung einer Kollisionsvariante mit einem standardisierten Kinderdummy (Q3-drei Jahre) verifiziert. Die Belastungsdaten der FE-Berechnungen sollten dann zusätzlich medizinisch hinsichtlich ihres Verletzungspotentials beurteilt werden.

Ergebnisse:

Das Niveau der Belastung und Beanspruchung bei einer Kopfkollision ist einerseits eine Funktion des Möbelkantenradius und andererseits direkt proportional zur Aufprallgeschwindigkeit und damit der Lauf- und Gehgeschwindigkeiten der Kinder. Je kleiner der Kantenradius, desto größer der Druck und die Spannungen in der betroffenen Körperstelle. Das von der Firma CADFEM verwendete Simulationsmodell (Stand 2016) rechnete für alle Aufprallgeschwindigkeiten (0,1 bis 6 m/s) eine signifikante Reduktion um bis zu 50 % des maximalen Druckes sowie der maximalen Vergleichsspannung in der Kollisionsfläche bei Erhöhung des Radius von 2 auf 6 mm oder mehr. Bei höheren Aufprallgeschwindigkeiten werden neben der Haut auch der Schädel und das Hirn stärker belastet. Diese Belastungen sind aber in der Simulation kaum abhängig vom Radius, denn der Druck verteilt sich in den tieferen Körperschichten. Die im Experiment mit dem Kinderdummy gemessene maximale Kontaktkraft von ca. 4,5 kN bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 4,1 m/s bestätigt die in der Simulationsstudie berechneten Werte. Die Laufgeschwindigkeiten von Kindern wird man aus pädagogischen und organisatorischen Gründen nicht beeinflussen können. Diese Studie deutet aber an, dass die gesundheitlichen Auswirkungen durch größere Radien der Möbelkanten in Nicht-Bewegungsbereichen verringert werden könnten. Die Literaturrecherche hat ergeben, dass es zu der betreffenden Thematik nur sehr wenige vergleichbare Studien gibt. Der Projektverlauf hat aufgezeigt, dass die Simulationsmodelle entsprechend dem neuesten Stand der Wissenschaft noch verfeinert werden müssen, um bessere Aussagen treffen zu können. Es wird empfohlen, die grundsätzliche Frage der Simulation von Quetsch-Riss-Wunden oder Hämatomen in weiteren Forschungsprojekten untersuchen zulassen.

Stand:

16.12.2019

Projekt

Gefördert durch:
  • Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV)
Projektdurchführung:
  • Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)
  • Firma CADFEM
  • Klinikum Dortmund
Branche(n):

Bildung, Wissenschaft

Gefährdungsart(en):

Mechanische Gefährdungen

Schlagworte:

Beanspruchung, Besondere Personengruppen, Sturz- und Absturzgefährdung

Weitere Schlagworte zum Projekt:

Kindertagesstätten, Sturzgefährdung, Möbelkanten, Verletzungsrisiko, Kopfverletzungen, Normungsanforderungen

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