Herkunft deutscher Luftgrenzwerte

Andere Luftgrenzwerte

Arbeitsplatzgrenzwerte des AGS

Nach einem Beschluss des Ausschusses für Gefahrstoffe (AGS) aus dem Jahr 1990 kann dieses Gremium eigenständig für gefährliche Stoffe, für die es keinen gültigen Luftgrenzwert gibt und eine krebserzeugende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Wirkung nicht bekannt ist, in Deutschland verbindliche Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) erarbeiten, die ursprünglich Arbeitsplatzrichtwerte (ARW) genannt wurden. Diese Werte müssen auf arbeitsmedizinische und toxikologische Erfahrungen gründen [1]. Vielfach liegen aber für die infrage kommenden Stoffe keine ausreichenden Befunde aus Toxikologie und Arbeitsmedizin vor, was die Verwendung von Sicherheits- bzw. Extrapolationsfaktoren bei der Ableitung von Arbeitsplatzgrenzwerten erforderlich macht. Die Kriterien wurden dabei im Lauf der Zeit verfeinert. Eine Zusammenfassung der zurzeit empfohlenen Methode zur AGW-Aufstellung durch den AGS findet sich in der Bekanntmachung zu Gefahrstoffen 901 "Kriterien zur Ableitung von Arbeitsplatzgrenzwerten (BekGS 901)".

Die Begründungspapiere sind auf einer Internetseite der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wiedergegeben (Begründungen zu Arbeitsplatzgrenzwerten).

Aufgehoben: Technikbasierte Luftgrenzwerte

Vielfach ist es unmöglich, eine toxikologische Wirkschwelle als Voraussetzung für die Aufstellung eines "gesundheitsbasierten" Luftgrenzwertes abzuleiten. In der Vergangenheit behalf man sich in diesen Fällen mit höchstzulässigen Expositionskonzentrationen, die gemäß dem "TRK-Konzept" bei Ausschöpfung sinnvoller technischer Minimierungsmaßnahmen als erreichbar betrachtet wurden. Ein solcher Ansatz ist mit der aktuellen Gefahrstoffverordnung nicht mehr vereinbar.

Die jetzige Arbeitsplatzgrenzwert-Definition der Gefahrstoffverordnung erlaubt es aber, Luftgrenzwerte festzulegen, deren dauerhafte Einhaltung zwar ein fassbares Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten bedeutet, das aber so niedrig ist, dass es von der Gesellschaft akzeptiert bzw. toleriert werden kann. Die Vorgehensweise des Ausschusses für Gefahrstoffe bei der Ableitung "risikobasierter" Expositionsgrenzen für Kanzerogene hat das zuständige Bundesministerium in Form der TRGS 910 "Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen" veröffentlicht.

Ehemalige Luftgrenzwerte für erbgutverändernde und krebserzeugende Stoffe

Für krebserzeugende Substanzen mit unbekanntem Wirkmechanismus oder direkt gentoxisch wirkende Stoffe ist es oft nicht möglich, einen arbeitsmedizinisch-toxikologisch begründeten Schwellenwert abzuleiten, der als Basis für einen Luftgrenzwert dienen könnte. Als Instrument der Risikominimierung waren deshalb vom AGS nach umfangreichen Recherchen zur Expositionssituation bei Herstellern und Verwendern über viele Jahre Luftgrenzwerte für solche Substanzen vorgeschlagen worden, die sich überwiegend am Stand der Technik orientierten.

Falls es sich um krebserzeugende oder erbgutverändernde Stoffe der heutigen Kategorien 1A oder 1B handelte (nachgewiesenermaßen krebserzeugend oder erbgutverändernd beim Menschen oder im Tierexperiment), wurden nach dem Stand der Technik aufgestellte Luftgrenzwerte "Technische Richtkonzentrationen" (TRK) genannt. Die vom AGS nach dem Stand der Technik aufgestellten Luftgrenzwerte für Stoffe der heutigen Kategorie 2 fanden dagegen als Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK) Eingang in die TRGS 102 bzw. 900.

Die Begründungspapiere zu diesen technischen Luftgrenzwerten waren ursprünglich im Anhang der TRGS 102 [2] abgedruckt. Im Jahr 1997 wurden sie in die alte TRGS 901 (inzwischen aufgehoben) überführt. Auch wenn es sich um technikbasierte Luftgrenzwerte handelt, wurde in den Dokumenten fast immer auf arbeitsmedizinische und toxikologische Erfahrungen eingegangen.

Da in den Geltungsbereich der aktuellen Gefahrstoffverordnung nur gesundheitsbasierte Arbeitsplatzgrenzwerte fallen, finden sich in der gültigen TRGS 900 keine Luftgrenzwerte mehr, die nach dem Stand der Technik aufgestellt wurden.

Luftgrenzwerte oberhalb der toxikologischen Wirkschwelle

Es kann vorkommen, dass für einen bestimmten Stoff ein sehr gut fundierter gesundheitsbasierter Luftgrenzwert-Vorschlag zur Verfügung steht, dessen Einhaltung am Arbeitsplatz aber nicht oder nur durch unzumutbaren Aufwand gewährleistet werden kann. In einem solchen Fall konnte sich der AGS früher für einen höheren Grenzwert entscheiden. Solche Szenarien stellten jedoch quantitativ vernachlässigbare Ausnahmen dar; meistens konnten derartige Probleme im Dialog mit den Sozialpartnern durch eine zeitbefristete Anhebung des Luftgrenzwertes gelöst werden. Zielgröße war stets die toxikologische Wirkschwelle. Mit den Daten aus Arbeitsplatzmessprogrammen unterfütterte Begründungsdokumente wurden in die alte TRGS 901 eingestellt. Unter dem Regime der jetzigen Gefahrstoffverordnung sind solche technisch begründeten Abweichungen vom toxikologisch abgeleiteten Grenzwert nicht mehr möglich.

Luftgrenzwerte für Stoffgemische

Aus toxikologischer Sicht ist es außerordentlich schwierig, wissenschaftlich begründete Luftgrenzwerte für komplexe Stoffgemische variabler Zusammensetzung zu etablieren. Dennoch besteht ein Bedarf, auch die Exposition gegenüber Dämpfen und Aerosolen aus mehreren Komponenten zu regulieren, um Arbeitsschutzmaßnahmen sinnvoll ausgestalten zu können.

In der Technischen Regel "Ermitteln und Beurteilen der Gefährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition" (TRGS 402) wird in Kap. 5.2.1 ein standardisiertes pragmatisches Rechenverfahren zur Beurteilung von Stoffgemischen beschrieben.

Dieser Ansatz berücksichtigt nicht die möglichen Wechselwirkungen der einzelnen Stoffe untereinander. Zur Berechnung des Arbeitsplatzgrenzwerts von Kohlenwasserstoffgemischen kann in Deutschland seit Dezember 2007 auf die RCP-Methode (RCP = Reciprocal Calculation Procedure) zurückgegriffen werden, die auf toxikologischen Erkenntnissen fußt. Sie ist inzwischen integraler Bestandteil der TRGS 900 "Arbeitsplatzgrenzwerte" (Kap. 2.9). Das ausführliche Begründungspapier (PDF, 132 KB) des AGS steht im Internet zur Verfügung.

Für einige andere industriell wichtige Stoffgemische, z. B. Bitumen oder Getreidemehlstäube, waren bis 2004 vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) gesonderte Luftgrenzwerte festgelegt worden, meist unter Hinzuziehung zahlreicher externer Sachverständiger. Bei der Ableitung dieser Werte traten neben der Berücksichtigung epidemiologischer und arbeitsmedizinischer Befunde sowie der toxikologischen Beurteilung von Leitkomponenten verstärkt auch Aspekte technischer Machbarkeit in den Vordergrund. Letzteres widerspricht dem Arbeitsplatzgrenzwert-Konzept der aktuellen Gefahrstoffverordnung. Die so entstandenen Luftgrenzwerte sind deshalb nicht mehr Bestandteil der TRGS 900.

Literatur

[1] Vorläufige Arbeitsplatzrichtwerte. Bekanntmachung des BMA vom 23. Januar 1991. BArbBl. (1991) Nr. 3, S. 69-70.

[2] TRGS 102 (Technische Regeln für Gefahrstoffe) "Technische Richtkonzentrationen (TRK) für gefährliche Stoffe". Gemäß Bekanntmachung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 01. 04.1997 (BArbBl. (1997) Nr. 4, S. 42) in die TRGS 901 übernommen.