Politik 6/2025

„Ich möchte, dass wir als Stabilitätsanker wahrgenommen werden“

Seit 1. September 2025 ist Dr. Stephan Fasshauer Hauptgeschäftsführer der DGUV.
Mit Blick auf das neue Jahr sprach DGUV Kompakt mit ihm über anstehende
Herausforderungen im Arbeitsschutz und in der digitalen Transformation.

Herr Dr. Fasshauer, Sie kommen von der Deutschen Rentenversicherung Bund. Warum haben Sie sich für die gesetzliche Unfallversicherung entschieden?

Also mein Herz für die Unfallversicherung habe ich nicht neu entdeckt. Schließlich gehöre ich bekanntermaßen seit vielen Jahren mit Leib und Seele zur großen Familie der Sozialversicherung. In der Unfallversicherung kommt alles aus einer Hand – von der wissenschaftlichen Forschung in den Instituten bis zur Leistungsgewährung. Hier Verantwortung zu übernehmen in sozialpolitisch dynamischen Zeiten – für ein Kernelement unserer sozialen Sicherung – das reizte mich sofort.

Dr. Stephan Fasshauer
Dr. Stephan Fasshauer, Hauptgeschäftsführer der DGUV, im Interview mit DGUV Kompakt. (Bildquelle: DGUV / Heiko Laschitzki)

Sie starten in einer Phase, in der Modernisierung und Deregulierung politisch priorisiert werden. Konkret schlägt zum Beispiel das BMAS vor, die Zahl der Sicherheitsbeauftragten um insgesamt 123.000 zu verringern. Was sagen Sie dazu?

Ich finde es völlig legitim, ja teils sogar notwendig, dass die Politik Strukturen hinterfragt – das ist auch ihr Auftrag. Was wichtig ist: den Sinn und Zweck von Arbeitsschutz, und damit auch den Wert der Sicherheitsbeauftragten, weiter im Blick zu behalten und verantwortungsvoll – miteinander – den Arbeitsschutz weiterzuentwickeln. Es geht darum, unser Schutzniveau zu sichern und Prävention wirksam in die Betriebe zu bringen. Gute Erfahrungen haben wir gemacht, wenn Selbstverwaltung und Politik gemeinsam handeln – etwa beim Weißbuch zur Weiterentwicklung des Berufskrankheitenrechts, das auf einem tragfähigen Konsens der Sozialpartner beruhte. Auch künftig müssen wir die zentralen Fragen des Arbeitsschutzes gemeinsam diskutieren. Klar ist: Ohne uns geht es nicht – wir müssen die Gestaltungshoheit behalten.

Was wäre Ihr Vorschlag für eine effzientere Regulierung im Arbeitsschutz?

Wenn man auf die Gesamtheit des Vorschriften- und Regelwerks schaut, mag das auf den ersten Blick erschlagend wirken. Es muss unser Ziel sein, dass Arbeitgebende nur noch die Vorschriften angezeigt bekommen, die auch wirklich benötigt werden. Die technologische Innovation, insbesondere KI, bietet hier enormes Potenzial. Das stellt ChatGPT bereits unter Beweis. Auf die Frage „Wie viele Vorschriften brauchen Sie, wenn Sie einen Metzgerladen aufmachen?“ lautet die Antwort: „Sie haben drei Vorschriften, die Sie anwenden müssen, und beim Rest haben Sie Ermessensspielraum.“ Die Qualität solcher Systeme ist nicht perfekt, aber der Ansatz stimmt: Wir müssen die Relevanz einzelner Vorschriften besser darstellen, damit sich niemand überreguliert fühlt. Die Arbeit dahinter bleibt allerdings in der Zuständigkeit der Unfallversicherung. Und diese fußt auf fundierter wissenschaftlicher Erkenntnis.

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Es muss unser Ziel sein, dass Arbeitgebende nur noch die Vorschriften angezeigt bekommen, die auch wirklich benötigt werden. Die technologische Innovation, insbesondere KI, bietet hier enormes Potenzial.

Dr. Stephan Fasshauer

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Was sind Ihre Ziele hinsichtlich der Digitalisierung?

Erstens, dass unsere Versicherten, Kundinnen und Kunden, Arbeitgebenden und auch die Leistungserbringenden dadurch entlastet werden. Zweitens muss Digitalisierung auch uns in der Unfallversicherung entlasten. Ich denke hier vor allem an die Fachkräfte in der Rehabilitation und Aufsichtspersonen in der Prävention. Und drittens: Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Die digitale Transformation ist für ihn da – daran muss sich alles ausrichten.

Und was mir noch wichtig ist: Die gesetzliche Unfallversicherung ist im Kern eine Dateninstitution. Wir produzieren keine Schrauben, wir arbeiten mit Daten. Dieses Gut müssen wir noch besser gemeinsam verarbeiten. Was wir dafür brauchen, ist eine Datenstrategie. Diese wird für die Unfallversicherung immer relevanter vor dem Hintergrund der rechtlichen Veränderungen. Damit zusammen hängt auch der Datenschutz, insbesondere auch der Schutz unserer IT-Systeme und der physische Schutz unserer Gebäude und aller Beschäftigten. Das wird auf jeden Fall im Jahr 2026 ein ganz wichtiges Thema für die Unfallversicherung werden.

Welche Herausforderungen sehen Sie noch?

Wir müssen stärker sichtbar machen, welchen Beitrag die Unfallversicherung zur Stabilität von sozialer Sicherheit, Wirtschaft und Gesellschaft leistet. Ich finde, das ist eine wichtige Aufgabe, gerade im politischen Raum. Ich möchte, dass wir als ein Stabilitätsanker wahrgenommen werden. Prävention war und ist ein elementarer Bestandteil für die Fachkräftesicherung. Und jedes funktionierende soziale Sicherungssystem trägt aus meiner Sicht zum Schutz der Demokratie und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Auch weil wir selbstverwaltet sind, weil wir eine demokratische Struktur haben. Gerade in einem Zweig der Sozialversicherung, der so viele Ermessensspielräume hat wie die Unfallversicherung, hat die Selbstverwaltung einen besonderen Stellenwert. Sie schützt vor politischer Einflussnahme und eröffnet die Chance, das System aus sich heraus zu gestalten.

Und ich finde es wichtig, dass wir den Blick auf die gesamte Sozialversicherung haben. Wir stehen alle vor den gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen. Der Sozialdatenschutz ist gleich, die Sicherheitslagen sind gleich. Deswegen finde ich es unglaublich wichtig, dass wir gemeinsam unsere Positionen vertreten: zum Beispiel in der Sozialstaatsreformkommission, zur ID-Nummer, die wir alle brauchen. Oder dass wir gemeinsam in der Cloud unterwegs sind. Die Kooperation muss noch stärker und enger werden. Das ist für die gesamte Sozialversicherung absolut notwendig.

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