abgeschlossen 08/2015
Ableitung und Verifizierung von fundierten und verallgemeinerungsfähigen Schlussfolgerungen zur Einhaltung energetischer Grenzwerte für den Personenschutz und für Festlegungen in Anwenderhilfsmitteln zur Gefährdungsbeurteilung und Auswahl von PSA.
In den Untersuchungen sind folgende Schwerpunkte zu bearbeiten:
Die Ergebnisse sollen auch direkt in aktuelle Projekte der internationalen Normung bei IEC, insbesondere den Technical Report IEC TR 78-901 für die Auswahl von PSA (Technical Report for correlating the results of arc test methods to electrotechnical applications in order to select the proper electric arc protective equipment) einfließen.
Störlichtbögen, die im Zusammenhang mit Kurzschlüssen in elektrischen Netzen und Anlagen auftreten können, sind sehr komplexe physikalische Vorgänge, die sich praktisch kaum ausreichend genau berechnen lassen. Sie weisen sowohl für elektrische Anlagen als auch für Personen, die sich in unmittelbarer Nähe befinden (zum Beispiel bei Arbeiten), ein hohes Gefährdungspotenzial auf.
Insbesondere die thermischen Auswirkungen von Störlichtbögen zeigen deutliche Abhängigkeiten zu einer Vielzahl von äußeren Einflüssen und sind deshalb nicht allgemein zu beurteilen. Anhand von umfangreichen Untersuchungen von Lichtbögen und deren Auswirkungen unter Laborbedingungen können jedoch verschiedene Anlagenbedingungen simuliert und somit auf spezifische reale Verhältnisse übertragen werden.
Wie aus vorangegangenen Untersuchungen hervorgeht, gibt es in Drehstromsystemen in dreipoligen Elektrodenanordnungen unterschiedliche Formen der Ausbildung von Störlichtbögen und damit eine Abhängigkeit der Leistungs- und Energieumsätze sowie thermischen Einwirkenergien insbesondere auch von den Faktoren Elektrodenorientierung, Elektrodenumgebung (Box) und Elektrodenmaterial.
Im Vorfeld zu den jetzigen Laboruntersuchungen sind bereits dreipolige Lichtbogenversuche ausgewertet worden. Um Vergleichbarkeit mit zweipoligen Lichtbögen im Boxtest zu erreichen, wurde der Prüfaufbau des Boxtests weitgehend beibehalten und nur durch eine dritte seitlich eingeführte Elektrode innerhalb der Box ergänzt. Die Elektrodenanordnung, die durch die Erweiterung der Prüfbox entstanden ist, besitzt eine Dreieckform (triangulare Anordnung). Es wurden Elektroden aus Aluminium, Kupfer und Stahl (V2A) eingesetzt, die auch in kombinierter Form benutzt wurden. Dabei zeigte sich, dass die Einwirkenergien stark vom Elektrodenmaterial abhängig sind. Die Elektrodenanordnung ist im Hinblick auf die messtechnische Bestimmung der Einwirkenergie allerdings geometrisch nicht symmetrisch und führt nicht zu den größtmöglichen Energieeinwirkungen.
Ausgehend von diesen Erkenntnissen ist in den jetzt durchgeführten Untersuchungen zuerst eine modifizierte triangulare Elektrodenanordnung betrachtet worden, bei der durch Einführen der dritten Elektrode durch die Rückwand der Box die Symmetrie in der thermischen Wirkung hergestellt wurde.
Als Material der Elektroden wurde vor allem die Kombination Aluminium (oben) – Kupfer (unten) – Stahl (Mitte) benutzt, wodurch wesentliche Fragestellungen, die aus den vorherigen Messungen offen geblieben waren, ergänzend bewertet und beantwortet werden konnten.
In der weiteren Fortsetzung wurde dann eine weitere dreipolige Grundelektrodenanordnung in Form von parallelen, nach vorn gerichteten Elektroden (koplanare Anordnung) in einer Box (mit gleichen Abmessungen wie zuvor) sehr detailliert untersucht. Es wurden Elektroden gleichen Materials aus Kupfer, Aluminium und Stahl und die Kombination aus den Materialien betrachtet.
Die untersuchte Anordnung mit horizontaler Elektrodenführung, bei der die Elektroden parallel verlaufen und übereinander angeordnet sind, führte zu höheren Lichtbogen- und Einwirkenergien im Vergleich zu den triangularen Anordnungen. Damit bestätigen sich prinzipiell die Erkenntnisse, die aus der Berechnung von Lichtbogenparametern mithilfe von neuen Modellen und Modellparametrierungen resultieren, die in sehr umfangreichen Untersuchungen in den USA für dreipolige Elektrodenanordnungen abgeleitet wurden und zukünftig in die Standards von NFPA und IEEE zur Gefährdungsbeurteilung eingehen werden. Daraus war hervorgegangen, dass horizontale koplanare Elektrodenanordnungen generell zu den größten Einwirkenergien führen. Diese Modelle berücksichtigen allerdings keinen Einfluss des Elektrodenmaterials auf die Höhe der Einwirkenergie und ermöglichen nicht die Bestimmung der elektrischen Lichtbogenenergie, die in den europäischen Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung als Bewertungsgröße dient. Die quantitativen Ergebnisse der Berechnungen lassen sich dagegen generell nicht direkt nutzen und nicht verifizieren, da deutliche Diskrepanzen zu den ermittelten Messergebnissen bestehen, was die Notwendigkeit der Durchführung der eigenen Laboruntersuchungen im Nachhinein zusätzlich rechtfertigt.
In den messtechnischen Untersuchungen sind vor allem die Kennwerte elektrische Lichtbogenenergie und thermische Einwirkenergie in Abhängigkeit von Kurzschlussstrom und Kurzschlussdauer sowie die Zusammenhänge zwischen Prüfstrom, Prüfleistung, elektrischer Lichtbogenenergie und thermischer Einwirkenergie unter dem Einfluss der Elektrodenmaterialien Kupfer, Aluminium und Stahl für die Anordnungen messtechnisch bestimmt worden. Dabei wurde auch der Zusammenhang zwischen Einwirkenergie und elektrischer Lichtbogenenergie analysiert. Die elektrischen Parameter sind abhängig von der Elektrodenanordnung. In der koplanaren Anordnung bilden sich infolge der Kraftwirkungen des Elektrodenmagnetfeldes auf die Lichtbogenfußpunkte und Lichtbogensäule in der Regel längere Lichtbögen als in den triangularen Anordnungen aus. Dadurch ergeben sich größere Lichtbogenspannungen, höhere Lichtbogenleistungen und höhere Lichtbogenenergien, während die Ströme stärker begrenzt werden. Die Box hat darauf einen moderaten Einfluss, allerdings bestimmt sie die Stabilität des dreipoligen Lichtbogens. Ohne Box ist eine deutlich größere Tendenz zum Selbstverlöschen des Fehlers gegeben. Der Materialeinfluss auf die elektrischen Parameter ist praktisch vernachlässigbar. Die Lichtbogenleistung ist im untersuchten Strombereich bis 7 kA nahezu linear vom Lichtbogenstrom abhängig. Das gilt in diesem Strombereich auch für die Lichtbogenenergie, die sich darüber hinaus proportional zur Lichtbogendauer verhält.
Die Einwirkenergie ist in der koplanaren Anordnung prinzipiell etwas höher als bei triangularen Elektroden, jedoch grundsätzlich stark materialabhängig. Die kleinsten Werte ergeben sich bei Kupferelektroden. Es folgt Stahl, was zum Teil auch zu deutlich höheren Werten führt. Aluminium hat sehr deutlich höhere Einwirkenergien zur Folge. Die Materialkombination liegt praktisch im Sinne von mittleren Verhältnissen dazwischen. Man sollte in Bewertungen Aluminiumelektrodeneinflüsse gesondert betrachten, ggfs. in Form von Korrekturgrößen in Bezug auf die Größen für Kupferelektroden als "Normalfall".
Die Lichtbogenenergien, die sich bei dreipoligen Anordnungen ergeben, liegen gegenüber der zweipoligen Anordnung zwischen 2 und 3. Das gilt auch im Vergleich zu den Normprüfpegeln des Boxtests. Im Vergleich der Einwirkenergien kann von einem Verhältnis der dreipoligen zu den zweipoligen Bedingungen von 2:5 ausgegangen werden. In Bezug auf die Normprüfpegel der Einwirkenergie beträgt das Verhältnis 2:3. Aluminiumelektroden besitzen hierbei allerdings die erwähnte Ausnahmestellung (nochmals ca. Faktor 2).
Der Zusammenhang zwischen Einwirkenergie und Lichtbogenenergie ist im untersuchten Strombereich annähernd linear. Damit zeigt sich hier nicht das überproportionale Ansteigen, das für zweipolige Anordnungen bei höheren Strömen bestehen kann. Das Verhältnis der Einwirkenergie zur Lichtbogenenergie ist in der koplanaren Anordnung größer als in den triangularen Konfigurationen.
Praktische Bedeutung besitzt die bezogene Lichtbogenleistung, aus der in Betrachtungen zur Gefährdungsbeurteilung die zu erwartende Lichtbogenenergie bestimmt werden kann. Hier zeigt sich, dass insbesondere im Zusammenhang mit der koplanaren Anordnung Werte vorliegen können, die größer als die Richtwerte sind, die in Abhängigkeit von den Elektrodenabständen ermittelt werden und in Richtung der Maximalwerte tendieren. Der Grund dafür besteht in deutlichen Abweichungen der tatsächlichen Lichtbogenlänge vom Elektrodenabstand.
In ersten Auswertungen sind exemplarisch Ausbreitungsgeschwindigkeiten der Gas- und Plasmawolke bestimmt worden. Hier zeigt sich, dass praktisch damit zu rechnen ist, dass bei zweipoligen und auch bei dreipoligen Anordnungen die Gas- und Plasmawolke einen Wirkabstand von 300 mm innerhalb der ersten Halbperiode erreichen kann.
Aus den Ergebnissen der Untersuchungen sind die genannten verallgemeinerten Aussagen und Werte abgeleitet worden. Es sind darüber hinaus auch Schlussfolgerungen zur Einhaltung energetischer Grenzwerte für den Personenschutz und für Festlegungen in Anwenderhilfsmitteln zur Gefährdungsbeurteilung und Auswahl von PSA gezogen worden, die noch weiter verifiziert werden sollten. Die Ergebnisse sind generell statistisch nur begrenzt abgesichert. Diesbezügliche Ungenauigkeiten, Unsicherheiten oder fehlende "Passfähigkeit" sind im Zusammenhang mit der Fortführung der Untersuchung dreipoliger Lichtbogenverhältnisse zu beheben bzw. zu klären. Offen ist insbesondere die Frage, ob eine koplanare Elektrodenkonfiguration mit nebeneinander angeordneten Elektroden zu gleichen Lichtbogenwirkungen wie Anordnung C oder zu höheren thermischen Lichtbogenwirkungen führt. Im Zusammenhang mit einer systematischen Untersuchung dieser Anordnung können sich die jetzt noch bestehenden quantitativen Unsicherheiten beseitigen lassen.
Elektrotechnik
Gefährdungsart(en):Elektrische Gefährdungen, -Verschiedenes-
Schlagworte:Normung, Persönliche Schutzausrüstung, Prüfverfahren
Weitere Schlagworte zum Projekt:Störlichtbogen, Gefährdungsbeurteilung, Einwirkenergie, Lichtbogenenergie