Prävention / Politik 3/2025

„Gemeinsam schützen, was zählt“

Die gesetzliche Unfallversicherung wird in diesem Jahr 140 Jahre. Sie steht für Stabilität und Sicherheit, muss sich aber mehr denn je den schneller werdenden Veränderungen in der Arbeitswelt und Gesellschaft anpassen. Dr. Stefan Hussy, scheidender Hauptgeschäftsführer der DGUV, blickt zurück und nach vorn.

Dr. Stefan Hussy (links) und Dr. Stephan Fasshauer (rechts)
Dr. Stefan Hussy (links) hat beim Symposium "Arbeitsgesellschaft im Wandel - mit Digitalisierung und KI Prävention und Arbeitsschutz stärken" offiziell seinen Abschied als Hauptgeschäftsführer der DGUV gefeiert. Den Staffelstab übernimmt Dr. Stephan Fasshauer (rechts). (Foto: Peter Lorenz/DGUV)

Herr Dr. Hussy, wie krisenfest ist die gesetzliche Unfallversicherung?

140 Jahre Unfallversicherung zeigen: Das Fundament ist sehr solide und wird es weiter bleiben, wenn wir beweglich und vorausschauend sind. Und in unserer Wirksamkeit sichtbarer. Meine sechs Jahre als Hauptgeschäftsführer waren krisenreich. Die Pandemie, die Energie- und Wirtschaftskrise und der Krieg in der Ukraine – alles Themen, die uns als gesetzliche Unfallversicherung betreffen und wo wir schnell gehandelt haben und Stabilität vermitteln konnten.

Was meinen Sie mit mehr Sichtbarkeit?

Im Normalfall haben die Menschen mit der Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse erst zu tun, wenn etwas passiert ist. Wir begleiten die Menschen aber wortwörtlich von der Kita bis zur Rente, angefangen beim Versicherungsschutz für Kita- und Schulkinder über Studierende bis hin zu Beschäftigten aller Branchen. Und darüber hinaus viele Menschen, die sich zum Beispiel im Ehrenamt engagieren. Oft ist das nicht bekannt. Menschen sollen gesund und sicher lernen und arbeiten können. Darin sind wir uns alle einig – die Arbeitgebenden und die Arbeitnehmenden. Das ist und bleibt die Kernaufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung. Und noch etwas verbirgt sich hinter diesem „Kern“. Stark sind wir dann, wenn die Selbstverwaltung und das Hauptamt gemeinsam Themen aufgreifen, wie zum Beispiel die Weiterentwicklung des Berufskrankheitenrechts. Unsere Selbstverwaltung zeigt, dass sie nach Lösungen und Konsens sucht und sich immer an ihren Aufgaben, nämlich dem Schutz der Versicherten und der Wahrung der Interessen der Unternehmen, orientiert. Wir wollen gemeinsam schützen, was zählt – nämlich die Gesundheit, die Menschen. Ich denke, das dürfen und sollten wir durchaus selbstbewusster nach draußen tragen.

Angesichts der wirtschaftlich angespannten Lage: Befürchten Sie, dass Prävention und Rehabilitation weniger wichtig werden könnten?

Nein, und zwar aus einem einfachen Grund: Prävention und Rehabilitation lohnen sich wirtschaftlich. Jeder verhinderte Arbeitsunfall, jede verhinderte Berufskrankheit, jede erfolgreiche Rehabilitation rechnet sich – für die Betroffenen, für die Unternehmen und damit für Wirtschaft und Gesellschaft.

ZITAT

Jeder verhinderte Arbeitsunfall, jede verhinderte Berufskrankheit, jede erfolgreiche Rehabilitation rechnet sich – für die Betroffenen, für die Unternehmen und damit für Wirtschaft und Gesellschaft.

Dr. Stefan Hussy

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Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen?

Die großen gesellschaftlichen Veränderungen gehen an uns nicht vorüber. Bei der Digitalisierung haben wir in den vergangenen Jahren viel erreicht, aber wir müssen noch schneller und mutiger werden. Andere Länder digitalisieren mit einer Dynamik, mit der wir nicht gewohnt sind zu agieren. Die alternde Gesellschaft ist schon länger ein Thema – zumal die Menschen immer länger arbeiten sollen, das aber auch können müssen. Neue Arbeitstechnologien und der Einfluss von Klimaveränderungen auf die Arbeitswelt sind topaktuell. Ebenso die steigende psychische Belastung. Das klingt oft abstrakt, betrifft aber ganz konkret die Beschäftigten und Unternehmen. Und hier können wir als System unsere Stärken ausspielen: die Nähe zu den Betrieben und Einrichtungen und die Branchenorientierung. Wenn Berufsgenossenschaften und Unfallkassen gut beraten wollen, dann müssen sie wissen, wo die Probleme in der Praxis liegen und welche Herausforderungen zukünftig auf uns zukommen. Und das tun sie, denn diese Trends werden fortlaufend erfasst und finden Eingang in die Forschungsarbeit unserer Institute und die Prävention.

Manchmal wird auch der Arbeitsschutz selbst als Problem benannt: zu starr und zu bürokratisch. Geht es auch einfacher?

Wir prüfen regelmäßig und intensiv, wo die Regeln passen oder wo wir bei der Konkretisierung des Regelwerks möglicherweise zu viel wollen. Da pflegen wir eine professionelle Selbstkritik. Aber die Vorgaben fallen nicht vom Himmel. Sie werden im Konsens mit Fachleuten, Vertreterinnen und Vertretern von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden aus den Branchen gemeinsam erarbeitet. Woran wir stärker arbeiten müssen: die Regeln leichter zugänglich und verständlicher zu gestalten. Künstliche Intelligenz und Digitalisierung bieten hier viele mögliche Lösungen, die für Betriebe und Einrichtungen einen echten Mehrwert bringen können. Die Praxis zeigt, dass Unternehmensführungen um ihre Verantwortung wissen. Sie wollen, dass ihre Beschäftigten gesund und sicher arbeiten, möglichst nicht ausfallen und lange im Unternehmen bleiben. Eine Kultur der Prävention wird in vielen Unternehmen tagtäglich gelebt und kann sich dank des Handlungsspielraums, den es im Arbeitsschutz gibt, auch gut entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten entfalten. Da hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan.

Lesen Sie auch das Interview in DGUV forum:
„Stark sind wir, wenn Ehrenamt und Hauptamt gemeinsam Themen aufgreifen und lösen“

GUT ZU WISSEN

Wegweiser Unfallversicherung

Die neue Publikationsreihe stellt die gesetzliche Unfallversicherung kompakt in Zahlen und Fakten dar. Ein Faltblatt erklärt kurz und knapp das System der gesetzlichen Unfallversicherung als Teil der sozialen Sicherung Deutschlands – das Prinzip der Haftungsablösung, die Trägerschaft und Selbstverwaltung, Leistungsgrundsätze und Finanzierung. Zum Faltblatt

Das andere gibt einen schnellen Überblick über die verschiedenen Versichertengruppen und -zahlen der gesetzlichen Unfallversicherung auf – Beschäftigte, Unternehmen und Einrichtungen, Schülerinnen und Schüler, Studierende, Kinder in Tageseinrichtungen und ehrenamtlich Tätige. Zum Faltblatt

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