abgeschlossen 04/2016
An Fahrerarbeitsplätzen werden bereits seit Jahren mobile Geräte wie Tablet-PCs und Smartphones für Telematikanwendungen genutzt. Im Bereich der Logistik gibt es kaum noch Fahrzeuge auf deutschen Straßen, die nicht davon betroffen wäre. Dabei treten nicht nur sicherheitstechnische Gefährdungen auf (Crashsicherheit, Sichtbehinderungen etc.), sondern auch solche, die aus Ablenkungen resultieren. Gerade die Termin- und Einsatzplanung wird, von Disponenten ausgehend, über die Geräte an die Fahrer übermittelt. Die Terminbestätigung erfolgt während der Fahrt - legal! Bei einer optimalen Schnittstellengestaltung ist das noch zu tolerieren. International gilt als tolerable Referenzbelastung durch derartige Sekundäraufgaben der Wechsel eines Radiosenders. Liegt die Ablenkungslast nachweislich in diesem Bereich, gilt die Verwendung derzeit als akzeptabel. Sehr oft ist dies aber nicht der Fall. Der Unfallversicherungsträger wünschte, ausgehend von der Beratungsanfrage eines Mitgliedsbetriebs, eine fachliche Fundierung für die Gefährdungsbeurteilung dieser Arbeitsplätze.
Auf der Basis der im IFA entwickelten Forschungs- und Beratungsexpertise in diesem Bereich kommen folgende Methoden zum Einsatz, die - neben sicherheitstechnischen Aspekten im engeren Sinne - die folgenden Ablenkungspotenziale von Sekundäraufgaben prüfen:
Visuelle Aufgabenlast:
Kombinierte kognitive, visuelle und motorische Aufgabenlasten:
Die Methodenkombination ist dabei unabdingbar, da verschiedene Methoden jeweils einen Mosaikstein darstellen und Teilbereiche betrachten. Erst bei übereinstimmenden Befunden kann eine Sekundäraufgabe als tolerabel beurteilt werden.
Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, ob die zu prüfende Telematikanwendung hinsichtlich der Nutzung während der Fahrt als "näherungsweise tolerierbar" eingeschätzt werden kann um die Gefährdungsbeurteilung zu unterstützen. Hierzu wurde untersucht welches Ablenkungspotential (im Sinne einer prüfbaren Beeinträchtigung) von der verwendeten Telematikanwendung ausgeht.
Da die Bedienung der eingesetzten Telematikanwendung über einen hohen Automatisierungsgrad verfügt (automatische Übernahme von Kundendaten, Zielführung usw.) und die meisten Bedienschritte im geparkten Fahrzeug getätigt werden, beschränkte sich die Untersuchung auf den Vorgang der Bestätigung von Eingangsmeldungen, die über die Telematikanwendung an die Fahrer übermittelt werden.
In der Untersuchung kamen folgende Methoden zum Einsatz:
Die kombinierte Bemessung der kognitiven, visuellen und motorischen Ablenkung wurde mit zwei verschiedenen Fahrsimulationen (LCT, rFactor1) mit jeweils zwei unterschiedlichen Probandengruppen durchgeführt. Zusätzlich wurde in einem weiteren Versuch die visuelle Ablenkung mit dem Eye-Tracking Verfahren untersucht. Die Ergebnisse wurden über eine Referenzaufgabe (LCT, rFactor1: "Radio einstellen") und über ein absolutes Kriterium (Eyetracker: Grenzwerte der AAM-Guidelines) ermittelt.
Sowohl im Verfahren LCT als auch im Verfahren auf Basis von rFactor gab es keine signifikanten Unterschiede in der Fahrleistung. Das Eyetracker-Verfahren bestätigte die Befunde aus den beiden vorangegangenen Untersuchungen: Sowohl die Gesamtdauer der Blickabwendung bis zur Aufgabenverrichtung als auch die mittleren Blickabwendungen lagen deutlich unter den Referenzwerten von 20 bzw. zwei Sekunden.
Die in der vorliegenden Untersuchung angewendeten Methoden haben ergeben, dass der definierte Untersuchungsgegenstand (Bestandteil der eingesetzten-Telematik-App) den Anforderungen an eine während der Fahrt zu benutzende Anwendung insoweit genügt, als dass der Wechsel eines Radiosenders tendenziell höhere Ablenkungspotenziale aufweist. Die Werte lagen übereinstimmend in allen Verfahren relativ wie absolut unterhalb definierter "Grenzwerte". Eine Nutzung konnte daher „näherungsweise“ als wenig gefährdend angenommen werden. Allerdings sind die Anwender über verbliebene Gefährdungen aufzuklären und in der entsprechenden Nutzung zu unterweisen. Der Betrieb wurde in Fragen der Unterweisung in Absprache mit der BG beraten, insbesondere weil eine gefährdungsfreie Nutzung in jeder Fahrsituation und unter allen Umständen auch bei "tolerierbar" befundenen Sekundäraufgaben nicht angenommen werden kann.
Weiterhin wurde ein Crashtest für das Haltesystem des mobilen Endgerätes in einem externen Technologiezentrum durchgeführt. Die Durchführungsbedingungen und kritischen Befunde wurden gemeinsam reflektiert. Da das Haltesystem im Crashtest versagt hat, musste vor einer weiteren Nutzung gewarnt werden. Alternative und geprüfte Haltesysteme wurden recherchiert und empfohlen.
Verkehr
Gefährdungsart(en):Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren
Schlagworte:Transport und Verkehr
Weitere Schlagworte zum Projekt:Fahrerarbeitsplatz, Telematikanwendung, Gefährdungsbeurteilung