abgeschlossen 03/2023
Die wichtigste Zielsetzung des Projektes bestand darin, für erwachsene Personen mit Schädel-Hirn-Traumata (SHT) ein neues, internetgestütztes Angebot zur Behandlung von Einschränkungen der sozialen Kognitionen und Kompetenzen zu entwickeln und hinsichtlich seiner Akzeptanz und Wirksamkeit zu evaluieren.
Unter sozialen Kognitionen versteht man breit gefasst alle geistigen und emotionalen Prozesse, die im Rahmen von sozialen Interaktionen ablaufen. Beeinträchtigungen sozialer Kognitionen und Kompetenzen stehen unabhängig von kognitiven Beeinträchtigungen u. a. mit Schwierigkeiten im sozialen und beruflichen Bereich in Zusammenhang.
Nach einer systematischen Literaturübersicht konnte bestätigt werden, dass es spezifisch an gut evaluierten internetbasierten Programmen für die Behandlung soziokognitiver Einschränkungen bei neurologischen Erkrankungen mangelt (Lohaus et al., 2022). Im Rahmen des Projektes wurde ein neues internetbasiertes Therapieprogramm "Programm zur Behandlung von Einschränkungen sozialer Kognitionen und Kompetenzen der Ruhr-Universität Bochum" (SoKoBo) entwickelt, mithilfe dessen in drei Modulen die Fähigkeit, Emotionen anderer Menschen zu erkennen (Modul 1: Emotionserkennung), sich in die Gefühle und Gedanken anderer hineinzuversetzen (Modul 2: Perspektivübernahme) und soziale Probleme angemessen und effektiv zu lösen (Modul 3: Soziales Problemlösen), verbessert werden sollten. Dabei wechselten sich informative Lerneinheiten (Psychoedukation über die behandelten Funktionen und deren mögliche Einschränkungen, Auswirkungen auf den Alltag sowie Vermittlung von Umgangs- bzw. Bewältigungsstrategien) mit der Bereitstellung von Übungsmaterial (Fotos, Videos, Hörspiele) zu den Lerneinheiten ab. In Letzteren konnten Teilnehmende der Studie anhand von Rückmeldungen zu ihren Antworten überprüfen, ob sie das Gelernte anwenden können.
In einer Pilotstudie mit älteren Gesunden wurde die gute Umsetzbarkeit und Akzeptanz des Programms sowie die hohe Zufriedenheit mit den Inhalten und der Struktur gezeigt. Insgesamt 64 Personen nach SHT konnten in die randomisierte kontrollierte Hauptstudie eingeschlossen werden und wurden randomisiert auf die beiden Studienarme aufgeteilt. Die Experimentalgruppe (EG) arbeitete für mindestens zwölf Wochen lang unter teletherapeutischer Begleitung (14-tägig Telefonkontakte nach standardisiertem Protokoll, zusätzlich Erreichbarkeit auch per E-Mail) im häuslichen Umfeld eigenständig viermal pro Woche ca. 30 Minuten an dem neu entwickelten Programm SoKoBo. In einer Kontrollgruppe (KG) von Personen nach SHT wurde ein Standardprogramm ("RehaCom"/Hasomed) zur Behandlung von kognitiven Einschränkungen in Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutiven Funktionen in gleicher Frequenz und Intensität eingesetzt. Auch erfolgte in zur EG vergleichbarem Ausmaß Psychoedukation über die trainierten kognitiven Funktionsbereiche sowie teletherapeutische Unterstützung. Alle teilnehmenden Personen nach SHT absolvierten eine umfangreiche Prä-Post-Diagnostik mit standardisierten neuropsychologischen Verfahren zur Erhebung einer Reihe von relevanten Outcome-Maßen, v. a. im Bereich sozialer Kognitionen und Kompetenzen.
Ihren jeweils zugeteilten Studienarm haben 27 Personen nach SHT in der Experimentalgruppe (EG) und 15 Personen in der Kontrollgruppe (KG), davon insgesamt 21 Personen nach SHT im Arbeitskontext, komplett abgeschlossen.
Dabei zeigen sich in der EG, nicht aber in der KG, erwartungsgemäß spezifische Verbesserungen der Fähigkeit, Emotionen anhand von Gesichtsausdrücken (nicht aber anhand von Stimmen oder dynamischen Filmen) zu erkennen sowie verbesserte Einschätzungen der eigenen Empathiefähigkeit. Es ergaben sich jedoch keine eindeutigen Verbesserungen des sozialen Problemlöseverhaltens, was vermutlich darauf hindeutet, dass es in Bezug auf solche komplexen verhaltensbasierten Fähigkeiten auch einer begleiteten Umsetzung der angeregten Übungen im Realkontakt bedarf. Der Zuwachs an Empathie war spezifisch in der EG mit erhöhter Lebenszufriedenheit assoziiert. Explorative Zusatzanalysen deuten auch auf eine mögliche Verminderung depressiver Symptomatik nach der SoKoBo-Therapie hin. Die kognitiven Leistungen in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen verbesserten sich weder in der Experimental- noch in der Kontrollgruppe.
Schlussfolgerung: Die bisherigen Ergebnisse legen eine spezifische Wirksamkeit des neu entwickelten internetbasierten Therapieprogramms SoKoBo im Hinblick auf die Verbesserung der fazialen Emotionserkennung und der selbsteingeschätzten Empathiefähigkeit nahe. Basierend auf der Literatur ist davon auszugehen, dass diese Fähigkeiten die soziale und berufliche Wiedereingliederung erheblich mitbeeinflussen.
-branchenübergreifend-
Gefährdungsart(en):-Verschiedenes-
Schlagworte:Rehabilitation
Weitere Schlagworte zum Projekt:soziale Kompetenzen, soziale Kognitionen, SHT, Hirnschädigung, Empathie, soziales Problemlöse-Verhalten, Emotionserkennung