"Warum tue ich mir das eigentlich an?"

Portrait von Jan-Henrik Büthe, Notarzt und Feuerwehrmann.

Jan-Henrik Büthe, Notarzt und Feuerwehrmann.
Bild: DGUV

Für Jan-Henrik Büthe ist die Rettung anderer Menschen Beruf und Berufung. Als Freiwilliger Feuerwehrmann und Notarzt erlebt er viele belastende Situationen. Kommt dann noch Gewalt hinzu, belastet das doppelt. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen und den Umgang mit Gewalt.

Herr Büthe, Sie sind seit Ihrer Jugend Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und neben Ihrer Tätigkeit als Anästhesist auch als Notarzt tätig. Sie stellen sich also beruflich und privat in den Dienst der Allgemeinheit. Woher kommt Ihr Engagement?

Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ich bin ländlich aufgewachsen und sehr familiär geprägt. In meinem Umfeld habe ich es immer als völlig normal erlebt, dass man sich hilft und füreinander da ist. Zur Feuerwehr kam ich dann durch meine Mitschüler. Das war damals der Treffpunkt für die Jugend. Dort habe ich soziales Miteinander gelernt und anderen zu helfen. Das hat mich natürlich geprägt und begleitet mich bis heute.

Was empfinden Sie da, wenn Sie hören, dass Menschen, die sich ehrenamtlich oder beruflich in der Rettung engagieren, im Einsatz angegriffen werden?

Zum Glück ist es so, dass die Schwere und Intensität der Einsätze grundsätzlich abgenommen haben. Aber wenn es dann zu einem Einsatz kommt, dann sind das häufig Unfälle mit fatalen Folgen. Allein was wir vor Ort erleben, ist schon eine Belastung. Das sind Bilder, mit denen wir erstmal umgehen müssen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ein Einsatz, der mir bis heute im Kopf geblieben ist, ist ein Verkehrsunfall mit einer Familie. Die beiden Kinder, 2 und 6 Jahre alt, starben. Bei aller Routine und Erfahrung lässt einen das nicht kalt. Wenn ich dann höre, dass sich Einsatzkräfte vor Ort noch mit Anfeindungen von Passanten oder Betroffenen auseinandersetzen müssen, dann zerreißt mir das das Herz.

Weil Sie wissen, was das für die Einsatzkräfte bedeutet?

Ja. Weil ich weiß, was die Einsatzkräfte in diesen Momenten leisten. Wir wissen vorher nie genau, was uns erwartet. Innerhalb von wenigen Sekunden müssen wir Entscheidungen treffen und abliefern. Dann noch angepöbelt oder angegriffen zu werden belastet doppelt und macht es uns noch schwerer.

Haben Sie auch persönlich schon Gewalt erlebt?

Wirklich massive Gewalt habe ich Gott sei Dank noch nicht erlebt. Aber mal am Hals oder am Arm gepackt zu werden und gesagt zu bekommen ‚Ich hau dir jetzt eine rein‘ – das ist für mich eigentlich schon Standard. Gerade im Rettungsdienst oder im Krankenhaus kommt es regelmäßig vor, dass man körperlich angegangen wird, verbal sowieso. Auch hier sind Pöbeleien und Bedrohungen leider Standard.

Woher kommt das? Eigentlich ist doch jeder Mensch froh, wenn er in einer Notsituation Hilfe bekommt.

Ganz häufig sind das natürlich Menschen, die unter Alkohol- und Drogeneinfluss stehen und nicht Herr ihrer Sinne sind. Aber deutlich schlimmer sind die Leute, die unzufrieden sind mit sich und der Politik. Meistens haben sie selbst viele Probleme. Die lassen ihren Frust dann an uns aus und werden zum Teil unglaublich persönlich.

Wie fühlen Sie sich dann?

Mir geht’s nach solchen persönlichen Angriffen eigentlich immer ziemlich schlecht. Und das hat einen einfachen Grund: Man nimmt den Stress auf sich, kommt zu einer Person hin, will helfen und wird dann persönlich beleidigt. Da frage ich mich schon manchmal: Warum tue ich mir das eigentlich an?

Klingt ziemlich frustriert.

Ja. Das ist unheimlich frustrierend! Wir können den Beleidigungen und Pöbeleien im Grunde nichts entgegensetzen. Man kann zwar bestimmt auftreten, auch darauf hinweisen, dass man sich bestimmte Äußerungen verbittet, aber letztlich müssen wir immer freundlich bleiben. Wir können ja nicht einfach zurückpöbeln.

Obwohl man das sicher manchmal gern würde. Haben Sie es schon einmal erlebt, dass Sie selbst oder Kollegen die Fassung verloren haben?

Bisher habe ich alle meine Kollegen und Kameraden immer professionell erlebt. Aber was ich auch wahrnehme, ist dann die Frustration hinterher. Man ärgert sich über die Situation, man nimmt das mit nach Hause. Eigentlich reichen ja schon die Bilder, die man nach so einem Einsatz im Kopf hat. Leider geht es auch vielen so, dass sie ihren Ärger aus den Einsätzen mit ins Privatleben nehmen und nicht dalassen können, wo er entstanden ist. Das belastet natürlich auch die Familien. Und das ist eine Situation, die ich nur schwer ertragen kann.

Und wie versuchen Sie Kameradinnen und Kameraden davor zu schützen, Erlebtes mit ins Privatleben zu nehmen?

Das ist mir tatsächlich ziemlich wichtig. Als Ortsbrandmeister habe ja auch eine Fürsorgepflicht gegenüber meinen Kameraden. Ich versuche immer, dass wir uns nach Einsätzen noch mal im Gerätehaus treffen, um in der Gruppe über die Einsätze zu sprechen, damit niemand erst in die Situation kommt, das mit nach Hause zu nehmen. Natürlich haben wir auch untereinander – fernab der Hierarchie – immer ein offenes Ohr füreinander, um Frust und Probleme loszuwerden.

Es ist sowieso schon viel, was wir unseren Familien abverlangen mit unseren beruflichen Verpflichtungen und der Freiwilligen Feuerwehr obendrauf. Da sehe ich es klar als meine Aufgabe, das von den Familien fernzuhalten.

Wie ist es im Krankenhaus? Wie gehen Sie hier mit Gewalterlebnissen um?

Kommt es während des Dienstes zu Angriffen oder Beleidigungen, besprechen wir das natürlich, spätestens bei den Übergaben. Aber bei der Fülle an Dingen, die man erledigen und besprechen muss, rutscht die persönliche Betroffenheit oft auch in den Hintergrund. Da ist es gern auch mal so, dass die Erlebnisse abends oder in der Nacht noch mal in den Kopf reinschießen.

Sind Sie denn gut geschult, um mit Gewalterfahrungen umzugehen?

Man muss ganz klar sagen: In der medizinischen Ausbildung ist der Umgang mit Gewalt kein Thema. Man kann sicher Seminare machen, aber vorbereitet wird man auf kritische Situationen, auf die verbalen oder körperlichen Übergriffe nicht. Bei der Freiwilligen Feuerwehr ist es langsam im Kommen, dass man Schulungen besucht. Wir haben zum Beispiel vor kurzem vom ehrenamtlichen Rettungsdienst einen Selbstverteidigungskurs besucht, um Techniken zur Deeskalation zu lernen. Aber wirklich verbreitet und für jedermann zugänglich ist das noch nicht.

Welche persönliche Routinen haben Sie um Erlebtes zu verarbeiten?

Als allererstes habe ich mir auf die Fahne geschrieben, Anfeindungen nicht mehr persönlich zu nehmen. Ich weiß ja, dass die Menschen, auf die ich treffe, auch gerade in einer Notsituation stecken und in dem Moment keine anderen Kompensationsmöglichkeiten haben. Früher habe ich das viel mehr an mich rangelassen, habe mich aufgeregt. Jetzt versuche ich eher zu sagen: Die Menschen haben eigene Probleme und können gerade nicht anders. Gelingen tut mir das natürlich nicht immer, gerade wenn ich selbst viel um die Ohren habe.

In der öffentlichen Wahrnehmung sind Feuerwehr und Rettungskräfte eigentlich nach wie vor hoch angesehen. Wie erklären Sie sich dann, dass sie angegriffen werden?

Grundsätzlich ist es immer noch so: Wenn die Leute sehen, was wir Retter für andere Menschen tun, dann finden sie das toll. Die Gewaltexzesse kommen ja häufig dadurch zustande, dass die Person auf einmal persönlich betroffen ist. Zum Beispiel bei Straßensperrungen: Solange ich mich nicht selbst in die Schlange stellen muss, ist alles ok. Aber wenn ich da jetzt selbst lang muss, einen wichtigen Termin habe oder zur Arbeit muss, dann macht das Stress und verleitet die Leute dazu zu sagen ‚Das kann doch wohl nicht sein, dass ihr die Straße zu macht und ich jetzt hier stehen muss‘, auch wenn sie persönlich gar nichts gegen die Feuerwehr haben. Mit Sicherheit trägt auch der allgemeine Druck, unter dem die Menschen stehen, dazu bei, dass sie leicht die Fassung verlieren.

Hatten Sie schon mal Angst zu einem Einsatz zu fahren?

Schon häufiger. Bei Einsätzen der Feuerwehr eher weniger, da wir in der Gruppe unterwegs sind und uns gegenseitig schützen können. Mit dem Rettungsdienst kommt das aber öfter vor, vor allem, wenn wir in Gegenden fahren, von denen wir wissen, dass es dort rau zugeht, oder auch wenn wir zu Schlägereien müssen. Wir sind im Rettungsdienst zu zweit, maximal zu viert. Da ist das Sicherheitsgefühl nicht besonders groß. Und da hat man auch Angst.

Was muss sich ändern, damit ein Engagement wie Ihres erhalten bleibt?

Da habe ich eine klare Forderung an die Politik: Gewalt jeglicher Form muss konsequent verfolgt werden. Im letzten Jahr habe ich erlebt, wie ich und meine Kollegen bei einem Einsatz massiv beleidigt wurden. Wir haben das zur Anzeige gebracht. Und von der Staatsanwaltschaft bekommen wir dann die Nachricht, dass das Verfahren gegen die Person eingestellt wurde, weil es nicht im Interesse der großen Öffentlichkeit steht. Persönlich ist das ziemlich frustrierend, weil selbst das letzte Mittel – die Anzeige – ein stumpfes Schwert ist. Hier muss die Politik nachbessern. Und schlussendlich sind auch alle Politikerinnen und Politiker gefragt, sich hinzustellen und zu sagen: Gewalt ist nicht normal und gehört nicht in unsere Gesellschaft.

Und was erwarten Sie von Ihren Mitmenschen?

Ich würde mir wünschen, dass unsere Mitmenschen erkennen, dass wir auch nur Menschen mit einer Seele sind. Wir wollen keinem was Böses, wir sind da, um zu helfen. Wenn jeder einen Schritt zurücktritt, sei es als Passant, als Autofahrer im Stau oder als direkt Beteiligter, dann kann es auch vernünftig miteinander klappen.