"In Prävention kann man nie genug investieren."

Das Bild zeigt Dr. Stefan Hussy, den Hauptgeschäftsführer der DGUV und Dr. Edlyn Höller, die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der DGUV, in einer Interviewsituation.

Prävention vor Reha vor Rente, Digitalisierung, alternde Gesellschaft – im Koalitionsvertrag finden sich viele Themen der Unfallversicherung wieder.
Bild: Jan Röhl/DGUV

Interview mit Dr. Stefan Hussy und Dr. Edlyn Höller

Im Koalitionsvertrag macht die Regierung deutlich: Sie will ihre Sozialpolitik am Arbeitsmarkt ausrichten, die Digitalisierung vorantreiben und die Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger fördern. Das hat Auswirkungen auf die gesetzliche Unfallversicherung und ihre 64,2 Millionen Versicherten. Die Hauptgeschäftsführung der DGUV – Dr. Stefan Hussy und Dr. Edlyn Höller – erklären, welche Vorhaben Sie befürworten und wo sie weiteren Handlungsbedarf sehen.

Herr Dr. Hussy, Frau Dr. Höller, die neue Bundesregierung möchte mehr Fortschritt wagen. Findet sich die gesetzliche Unfallversicherung in den Vorhaben wieder?

Dr. Hussy: Wir freuen uns, dass viele unserer Kernthemen im Koalitionsvertrag angesprochen werden. Vor allem, dass die Bundesregierung für ihre Sozialpolitik das Leitmotiv "Prävention vor Reha vor Rente" formuliert hat, stimmt uns positiv. Denn nach diesem Grundsatz handelt die Unfallversicherung seit Jahrzehnten. Er ist unser gesetzlicher Auftrag und wir leben ihn aus tiefer Überzeugung. Unser Anliegen ist es, mit allen geeigneten Mitteln, Unfälle und Erkrankungen zu verhindern. Sollte doch ein Mensch durch die Arbeit geschädigt werden, dann stehen wir ihm mit bestmöglicher Rehabilitation zur Seite. Ziel ist es immer, bleibende Gesundheitsschäden möglichst abzuwenden und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in vollem Umfang zu ermöglichen.

Davon profitieren am Ende alle – Betroffene, Unternehmen und auch die Gesellschaft?

Dr. Höller: Ja, denn dieses Prinzip mindert zum einen Gesundheitsschäden und spart gleichzeitig Kosten. Zudem ist der stärkere Fokus auf Prävention und Reha dringend nötig. Der Fachkräftemangel und unsere alternde Gesellschaft in Kombination mit dem anstehenden Wandel – das sind Herausforderungen, die nicht allein durch Zuwanderung gelöst werden können. Wir müssen mehr dafür tun, dass Menschen nicht krankheitsbedingt vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Nur so kann unser Wohlstand gesichert werden.

Was braucht es dafür?

Dr. Höller: Eine vorausschauende Sozialpolitik, die alle mitnimmt und den Einsatz der Mittel vom Ergebnis her denkt. Die Sozialpolitik derart auszurichten, wäre ein Paradigmenwechsel. Für dessen Wirksamkeit gibt die gesetzliche Unfallversicherung ein sehr gutes Beispiel ab.

Die gesetzliche Unfallversicherung setzt auf starke Prävention und investiert dafür jährlich über eine Milliarde Euro. Stärkt die Regierung das Thema ausreichend, um Arbeit auch in Zukunft gesund zu gestalten?

Dr. Hussy: In Prävention kann man nie genug investieren. Jeder verhinderte Unfall zählt. Deswegen finden wir es wichtig, dass die Regierung einen Nationalen Präventionsplan auf den Weg bringt und das Präventionsgesetz weiter entwickeln will. Auch von einem Aktionsplan "Gesunde Arbeit" ist die Rede. In die Ausgestaltung der Vorhaben bringen wir gerne unsere Expertise ein. Denn unser Anliegen ist es, dass sich in unseren Lern- und Arbeitswelten langfristig eine Kultur der Prävention etabliert – wir also Sicherheit und Gesundheit selbstverständlich bei allen Entscheidungen mitdenken.

Welche Aspekte sollten zukünftig stärker berücksichtigt werden?

Dr. Hussy: Wir sehen, dass durch die mobile Arbeit neue, innovative Lösungen im Arbeitsschutz gebraucht werden, die das Potenzial der Digitalisierung nutzen. Wir müssen Wege finden, auch ortsunabhängig präventiv einzuwirken. Mit dem Ziel, die Kompetenz der Beschäftigten für Sicherheits- und Gesundheitsfragen zu stärken und um neue Gefährdungen frühzeitig zu erkennen. Zudem sollte moderne Prävention Themen wie die psychische Gesundheit, Work-Life-Balance, die Vielfalt von Belegschaften oder auch die Entgrenzung der Arbeit mit im Blick haben. Ebenso muss sie Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele einbeziehen. Das alles zusammengenommen, macht den Beratungsbedarf der Unternehmen immer komplexer. Er reicht verstärkt über unseren gesetzlichen Auftrag hinaus. Damit wird es zunehmend wichtiger, mit weiteren Akteurinnen und Akteuren eng zu kooperieren.

Eine intensivere Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger wird an mehreren Stellen im Koalitionsvertrag gefordert. Wie steht es darum?

Dr. Höller: Es gibt in einigen Bereichen bereits gute Kooperationen mit anderen Sozialversicherungsträgern. Diese würden wir gerne ausbauen. Das betrifft vor allem die Zusammenführung von Daten. Wir wünschen uns einen standardisierten Datenaustausch für alle Beteiligten im Gesundheitswesen. Denn zielgerichtetes, präventives Handeln und eine "auf den Arbeitsmarkt ausgerichtete Reha", wie es im Koalitionsvertrag heißt, benötigen eine umfassende Datengrundlage aus allen Lebensbereichen.

Der Unfallversicherung liegen Zahlen der betrieblichen Prävention sowie zu Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten aus allen Branchen vor. Könnten wir diese mit Daten anderer Sozialversicherungsträger kombinieren, würde das enorm helfen, Leistungen und Investitionen zielgerichteter einzusetzen. Zudem ließen sich neue Themen und Gefährdungen – auch für einzelne Betriebe – früher erkennen. Basis für einen engeren Datenaustausch könnte die von uns geplante neue Unternehmensnummer sein.

Gibt es Inhalte, die Sie im Koalitionsvertrag vermissen?

Dr. Hussy: Wir bedauern, dass für die Verkehrssicherheit keine konkreteren Ziele formuliert wurden. Denn unsere Zahlen zeigen, dass Wegeunfälle ein gleichbleibend großer Unfallschwerpunkt sind. Fahrradunfälle nehmen sogar stetig zu. Mit der Verkehrswende und dem demografischen Wandel wird es mehr Rad- und Fußverkehr geben. Das bedeutet mehr ungeschützte und besonders gefährdete Verkehrsteilnehmende. Damit sie sicher ans Ziel kommen, muss die oft mangelhafte Infrastruktur an die veränderten Bedürfnisse angepasst werden. Für mich ist klar: Sicherheit an erster Stelle mitzudenken, ist dabei der Schlüssel zum Erfolg.

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