"Wir sollten KI dafür nutzen, Arbeit sicherer zu machen."

Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der DGUV

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Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der DGUV, im Interview mit DGUV Kompakt.
Bild: Jan Röhl / DGUV

Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Arbeitswelt. Dies eröffnet neue Möglichkeiten und birgt einige Risiken. Auch der Arbeitsschutz und die gesetzliche Unfallversicherung setzen sich mit KI auseinander. Über bereits umgesetzte Projekte, mögliche Potenziale und nötige Regelungen sprach DGUV Kompakt mit Dr. Stefan Hussy, Hauptgeschäftsführer der DGUV.

Herr Dr. Hussy, man sagt, KI hat das Potenzial, die Arbeitswelt stärker zu verändern als bisherige Technologien. Kann KI auch helfen, Arbeit noch sicherer zu machen?

KI wird unsere Arbeitswelt prägend verändern und natürlich hat das auch Einfluss auf den Arbeitsschutz. Wir können und sollten die Technologie dafür nutzen, Arbeit sicherer zu machen.

Wie kann das geschehen?

Maschinen können sicherer werden, wenn sie über Sensoren Messdaten erfassen, die den Zustand der Maschine widerspiegeln. Das können Temperatur, Druck, Schwingungen, Geräuschentwicklung oder Durchfluss sein. Kombiniert mit Daten aus der Vergangenheit kann KI so mögliche Störungen frühzeitig melden.
Ein anderes Beispiel sind Assistenzsysteme, welche die Arbeit mit Maschinen und Fahrzeugen sicherer machen, weil sie Hindernisse erkennen oder auch die Hand eines Menschen. Dann bleibt das Sägeblatt einfach stehen, wenn eine Hand zu nahe kommt.
Bei unseren Kernaufgaben der Beratung und Überwachung kann KI helfen, große Datenmengen auszuwerten und Prognosen zu erstellen, bei welchen Betrieben es aufgrund von Abweichungen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schweren Unfällen kommt. Da können die Aufsichtspersonen gezielt in diese Unternehmen gehen und beraten. Natürlich ergeben sich auch in der Verwaltung viele Potenziale, indem Prozesse beschleunigt werden.

Wird KI in der gesetzlichen Unfallversicherung bereits angewendet?

Ja. Bei der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) gibt es das Projekt Reha Plus. Dort hilft KI dabei, potenzielle Fälle für das Reha-Management zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu ermitteln. Somit können die Kapazitäten in den Unfallteams bestmöglich eingesetzt werden.
Auch im Regress der BG ETEM ist KI schon länger im Einsatz und bewertet und markiert wöchentlich knapp 50.000 Unfälle nach einheitlichen Kriterien. Das wäre manuell nicht leistbar.
Im Unfallkrankenhaus Berlin nutzen die Kolleginnen und Kollegen der Radiologie seit 2021 KI, um Hirnblutungen schneller und besser zu erkennen. Aktuell arbeiten sie an einer ähnlichen Diagnostik für Verletzungen an der Wirbelsäule.


Zu sehen sind zwei Personen vor zwei Bildschirmen, die sich eine Gang-Computersimulation anschauen. Im Hintergrund sieht man die eine Testperson in einem Ganzkörpermessanzug auf einem Laufband.

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Das von der DGUV geförderte Projekt ENTRAPon versucht, in Stolper- und Rutschunfällen Muster zu erkennen und aus den Daten Vorhersagen abzuleiten.
Bild: Jens Nieth / DGUV

Welche Potenziale ergeben sich darüber hinaus?

KI kann uns helfen, bei Unfällen oder Beinahe-Unfällen Muster zu erkennen und daraus Vorhersagen abzuleiten. Dazu fördern wir gerade das Projekt ENTRAPon, welches Stolper- und Rutschunfälle untersucht. Auch könnten mit Hilfe von KI passgenaue Maßnahmen der Prävention für einzelne Unternehmen erstellt werden.
Denkt man an Sensortechnologie, könnten große Echtzeitdatenmengen generiert und mithilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet werden. Ich denke da an Vorhersagen zu sich verändernden Arbeitsbedingungen, beispielsweise bei einer Exposition gegenüber toxischen Substanzen. KI könnte frühzeitige Warnungen geben, sobald Grenzwerte überschritten sind.
Ein anderes Einsatzszenario wäre, Gefährdungsbeurteilungen in Echtzeit zu aktualisieren und mögliche Maßnahmen unmittelbar an Beschäftigte zu melden.

Birgt der Einsatz von KI im Arbeitsschutz auch Risiken?

Im Bereich der Verwaltung tragen wir als Sozialversicherung beim Einsatz von KI eine besondere Verantwortung. Denn wir verarbeiten sensible Daten und unsere Entscheidungen haben direkte Auswirkungen auf die Unternehmen und Beschäftigten. Wichtig ist, dass KI-Anwendungen hier nur die Grundlagen für Entscheidungen aufbereiten, aber wir Menschen sie treffen und nachvollziehen können.
Wenn KI das gewünschte Verhalten aus Beispieldaten lernt, kommt es, wie beim menschlichen Lernen auch, in der Anwendung zu sporadischem Fehlverhalten. Häufig sind die Auswirkungen unkritisch, wie beispielsweise bei automatisierten Musikvorschlägen. Im Bereich sicherheitsrelevanter Maschinenanwendungen würde ein Fehlverhalten jedoch möglicherweise Leib und Leben von Menschen bedrohen. Deswegen unterstützen die Unfallversicherungsträger auch bei der Entwicklung von Absicherungskonzepten.

Welche nationalen und EU-weiten Rahmenbedingungen braucht der Einsatz von KI Ihrer Meinung nach?

Im Bereich der Arbeits- und Sozialverwaltung entwickeln wir jetzt schon gemeinsame Werte und Prinzipien für den Einsatz von KI. Dafür hat sich die gesetzliche Unfallversicherung intensiv in das "Netzwerk KI in der Arbeits- und Sozialverwaltung" unter Federführung des BMAS eingebracht. Entstanden sind die "selbstverpflichtenden Leitlinien für den KI-Einsatz in der behördlichen Praxis".

In der nationalen und internationalen Normung gestaltet die gesetzliche Unfallversicherung den Einsatz von KI-Anwendungen im Kontext der funktionalen Sicherheit intensiv mit.
Wichtig ist aber auch, Beschäftigte vor der Überwachung durch KI zu schützen. Deshalb begrüßen wir, dass die Bundesregierung dazu einen Gesetzesentwurf plant. Auch das KI-Gesetz der EU wird ein wichtiger und nötiger Schritt sein für die Sicherheit und Grundrechte von EU-Bürgerinnen und -Bürgern und Unternehmen im Einsatz von KI.

Wie unterstützt die DGUV ihre Mitglieder bei der Einführung von KI-Anwendungen?

Das geschieht durch Vernetzung, Austausch, gemeinsame Forschungsprojekte und praktische Handlungshilfen. Seit 2020 gibt es das "Kompetenzzentrum Künstliche Intelligenz und Big Data" am Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA). Das Team unterstützt die Unfallversicherungsträger bei der Planung und Durchführung konkreter KI-Vorhaben. Zudem ist es Anlaufstelle gegenüber Politik, Forschung und Gesellschaft.