"Vision Zero braucht die Unterstützung aller im Unternehmen"

Interview mit Michael Kirsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der BG BAU

Bild von Kränen und der Sonne am Himmel

Die Arbeitsbedingungen auf Baustellen ändern sich ständig. Prävention muss ganzheitlich und übergreifend gedacht werden.
Bild: Smileus/stock.adobe.com

Eine Welt ohne schwere und tödliche Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten ist das Ziel der Vision Zero. Sie ist besonders für die Bauwirtschaft eine große Herausforderung. Deswegen steht sie im Fokus des 31. Symposiums der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS). Mitorganisiert wird die im Juni stattfindende Konferenz von der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU). Diese ist zuständig für den Arbeitsschutz und die Unfallversicherung für mehr als drei Millionen Versicherte und rund 567.000 Unternehmen der Bauwirtschaft und der baunahen Dienstleistungen. DGUV Kompakt sprach mit ihrem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer, Michael Kirsch, über die Erfolgsfaktoren der Vision Zero.


Portrait von Michael Kirsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der BG BAU

Michael Kirsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der BG BAU
Bild: BG BAU

Herr Kirsch, was bedeutet Vision Zero in der Bauwirtschaft?

Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sind kein Schicksal – sie haben immer Ursachen. Mit einer wirksamen Präventionskultur können wir diese Ursachen beseitigen und viel Leid verhindern. Die Vision Zero-Strategie der IVSS ist ein Ansatz, mit dem Unternehmen Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in der Praxis umsetzen können. Zentral für den Erfolg ist, dass die Unternehmensleitung die Verantwortung übernimmt, die Arbeitsschutzprinzipien systematisch umgesetzt werden und die Beschäftigten sensibilisiert sind und sich beteiligen. Dies gilt auch für die Bauwirtschaft, die dadurch geprägt ist, dass sich die Arbeitsbedingungen, abhängig vom Baufortschritt, ständig ändern und unterschiedliche Unternehmen zusammenarbeiten. Notwendig ist daher ein übergreifender Blick auf das Thema Prävention.

Wie hoch sind die Zahlen für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten in der Bauwirtschaft in Deutschland und weltweit?

2020 lag die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter in der deutschen Bauwirtschaft erstmals knapp unter 50. Für uns ein Erfolg, aber dennoch sind es doppelt so viele Unfälle wie im Durchschnitt der gesamten Wirtschaft in Deutschland. Auch wenn die weltweiten statistischen Erhebungen nicht immer vergleichbar sind, so weisen Zahlen aus anderen Ländern Übereinstimmungen bei den Arbeitsunfällen auf. Bei den Berufskrankheiten gab es in den letzten Jahren in der deutschen Bauwirtschaft einen leichten Anstieg der Zahlen, der insbesondere durch Hautkrebs infolge natürlicher UV-Strahlung begründet ist. Ein weltweiter Vergleich ist hier schwierig, da die Statistiken sehr unterschiedlich sind.

Welches sind die größten Risiken in der Bauwirtschaft?

Das höchste Risiko in der Bauwirtschaft sind Absturzunfälle. Das Abstürzen etwa von Dächern, Decken oder Leitern ist in der Regel mit schweren gesundheitlichen Folgen und menschlichem Leid für die Betroffenen verbunden. Weitere Unfallschwerpunkte sind Unfälle durch herabfallende oder kippende Teile sowie Maschinenunfälle. Die häufigsten Berufskrankheiten sind Lärmschwerhörigkeit, Hautkrebs durch UV-Strahlung und Lungenkrebs durch Asbest.

Wo setzt die BG BAU an, um schwere Unfälle oder Berufskrankheiten zu reduzieren?

Um für sicheres Verhalten zu sensibilisieren, haben wir das Programm "BAU AUF SICHERHEIT. BAU AUF DICH" ins Leben gerufen. Ziel ist, dass alle gemeinsam sicher arbeiten. Wichtige Bestandteile sind die sogenannten "Lebenswichtigen Regeln" für verschiedene Gewerke sowie Medien und Aktionen, die die Versicherten für spezielle Risiken, wie beispielsweise Absturz, sensibilisieren sollen. Darüber hinaus können Unternehmen, die in Arbeitsschutz investieren, Fördermittel durch die BG BAU er- halten. Außerdem unterstützen wir bei der Umsetzung eines Arbeitsschutzmanagementsystems. Alle Maßnahmen dienen dem übergeordneten Ziel der Vision Zero.

Die Bauwirtschaft ist weltweit sehr verschieden aufgestellt, was die Prävention angeht. Wo sehen Sie Erfolgsfaktoren für die Vision Zero?

Um Sicherheit und Gesundheit im Unternehmen zu verbessern, muss man nicht zwangsläufig Ausgaben erhöhen. Viel wichtiger ist es, dass das Management sensibel handelt, widerspruchsfrei führt und ein Klima des Vertrauens und der offenen Kommunikation auf allen Ebenen fördert. Um die Vision Zero-Präventionsstrategie einzuführen, braucht es die aktive Unterstützung und Beteiligung aller Akteure im Unternehmen. Eines ist klar: Der Erfolg der Umsetzung hängt letztlich von engagierten und motivierten Unternehmerinnen und Unternehmern, Führungskräften sowie achtsamen Beschäftigten ab.

Mit welchen Zielen beteiligt sich die BG BAU an der Internationalen Sektion der IVSS für Prävention in der Bauwirtschaft?

Die BG BAU engagiert sich in der Sektion, um die Reduzierung von schweren Unfällen und Berufskrankheiten auf Baustellen weltweit voranzutreiben und einheitliche Arbeitsschutzstandards und Wettbewerbsgerechtigkeit zu fördern. Die Sektion sammelt Best-Practice-Beispiele für vorbildlichen Arbeitsschutz aus der ganzen Welt. Damit bietet sie Unternehmen und Organisationen in der Bauwirtschaft umsetzbare Lösungen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz auf Baustellen zu verbessern. Diese Beispiele umfassen neben den „klassischen“ Themen wie der Prävention von Absturzunfällen oder dem Umgang mit Schadstoffen auch Themen wie die Digitalisierung im Arbeitsschutz, etwa im Hinblick auf den Einsatz von Robotern oder Drohnen. In diesem Jahr unterstützen wir zudem aktiv die Arbeit der Sektion Bau der IVSS, indem wir das Symposium in Berlin federführend organisieren. Dieser internationale Austausch kann die eigene Arbeit vor Ort voranbringen und neue Ansätze vermitteln. Denn die Vision Zero ist unser gemeinsames Ziel.


Berlin 8.-10. Juni 2022 31. Symposium der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS)

"Wie erreichen wir die Vision Zero in der Bauwirtschaft?"

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