Epidemiologische Fall-Kontroll-Studie zur Risikoabschätzung frequenzabhängiger arbeitsbedingter Hand-Arm-Vibrationen

Projekt-Nr. IFA 1105

Status:

abgeschlossen 12/2021

Zielsetzung:

Ziel des Projektes ist es, den Kenntnisstand zum Zusammenhang zwischen Vibrationseinwirkung auf das Hand-Arm-System und muskuloskelettalen Erkrankungen, wie sie in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zur Berufskrankheit (BK) Nr. 2103 beschrieben werden, zu verbessern. Insbesondere soll damit die Lücke, die im ärztlichen Merkblatt zur BK 2103 zur Frage der Langzeitdosis und der Bedeutung der Frequenzzusammensetzung auch nach der Neufassung 2005 besteht, geschlossen werden.

Das Mitte 2009 gestartete Projekt basiert auf einer Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2007. Aus verschiedenen Gründen, wie z. B. die Umstrukturierung der beteiligten Unfallversicherungsträger und eine erhöhte Sensibilität der Betroffenen beim Thema Datenschutz, musste der Zeitraum der Fallerfassung von ursprünglich bis 2013 bis 2020 verlängert werden.

In diesem langen Zeitraum gab es verschiedene Veränderungen. So wurden 2015 die Technische Regel zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (TRLV) erlassen sowie viele neue Regelwerke auf der europäischen und internationalen Ebene veröffentlicht. Auch die in Deutschland maßgebliche VDI 2057, Blatt 2, wurde in 2016 neu herausgegeben. Das Grundkonzept der Studie wurde beibehalten, jedoch wurden die Begriffe denen der neuen Regelwerke angepasst.

Der Kenntnisstand der Frequenzzusammensetzung als Ursache für unterschiedliche Erkrankungen hat sich im Studienzeitraum erweitert (Brammer/Pitts 2012). Die Expositionsdaten werden im Rahmen des Aufbaus eines Expositionskatasters ermittelt (s. IFA-Projekt 4160 "Kennwerte der Hand-Arm-Vibrationsexposition zur epidemiologischen Fall-Kontroll-Studie"). Die Ergebnisse enthält die ISO/TR 18570 (2017). Die dort genannte zusätzliche Frequenzbewertung wird jedoch nur im Hinblick auf die Entstehung von Nerven- und Durchblutungsstörungen vorgeschlagen. Für die im Projekt untersuchten Krankheitsbilder ergaben sich daraus derzeit keine für das Projekt relevanten Änderungen.

Aktivitäten/Methoden:

Im Rahmen einer multizentrischen (Kooperation der Berufsgenossenschaften BG BAU, BG RCI, BGHM und des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, IFA) epidemiologischen Fall-Kontroll-Studie wurde der mögliche Einfluss von Hand-Arm-Vibrationsbelastungen (HAV) auf die Risiken zur Entstehung von muskuloskelettalen Erkrankungen des Hand-Arm-Schultersystems hin untersucht. Dabei sollten folgende Fragen geklärt werden:

  1. Besteht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen arbeitsbedingten Hand-Arm-Vibrationen und dem Auftreten von muskuloskelettalen Erkrankungen des Hand-Arm-Schultersystems?
  2. Unterscheiden sich die verschiedenen Erkrankungsbilder bzgl. der ermittelten Dosis-Wirkungs-Beziehungen?
  3. Welche Bedeutung hat die Frequenzzusammensetzung der Exposition für die Dosis-Wirkungs-Beziehung?
Methoden: Im Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.11.20210 wurden männliche Fälle und Kontrollen für die Studien rekrutiert. Die Fälle beziehen sich auf die von Ärzten gemeldeten neuen Verdachtsanzeigen zur BK 2103 (entsprechend sechs Erkrankungsbildern: Hand-Osteoarthrose (OA), Ellenbogen-OA, Schulter-OA, Mondbeinnekrose, Kahnbeinpseudoarthrose und Ellenbogen Osteochondrose). Die Kontrollen wurden aus einer Zufallsstichprobe neuer meldepflichtiger Arbeitsunfälle gezogen. Um die Diagnosesicherheit der Verdachtsanzeige zu prüfen, wurde eine Validierung (Studie mit röntgenologischen Untersuchungen) bei ca. 50% der Fälle durchgeführt. Bei Fällen und Kontrollen wurden standardisierte Fragebogenerhebungen durch die Aufsichtspersonen und Berufskrankheiten-Ermittler der jeweiligen Berufsgenossenschaften vorgenommen. Neben Freizeitaktivitäten und Komorbiditäten wurden die Arbeitshistorien aller Studienteilnehmer bzgl. der Verwendung von handgeführten und -gehaltenen technischen Werkzeugen, die Hand-Arm-Vibrationen verursachen können, detailliert erhoben. Um die Vibrationsbelastungen für alle Studienteilnehmenden zu quantifizieren, wurde eine Datenbank (Vibrationskataster) zur Erfassung der Vibrationsmessungen an über 700 Geräten eingerichtet. Diese Datenbank wurde für die Berechnung der Tagesdosis bzw. Lebenszeitdosis der Vibrationsbelastungen herangezogen. Die Dosis-Wirkungs-Beziehungen bzw. frequenzabhängige Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwischen Vibrationsbelastungen und muskuloskelettalen Erkrankungen im Sinne der BK 2103 wurden mittels konditionaler logistischer Regressionsanalyse ermittelt.

Ergebnisse:

Insgesamt wurden 209 Fälle und 614 Kontrollen für die Studie rekrutiert. Die Validierungsstudie weist auf eine ca. 7,7 %ige Fehldiagnose bei den Fällen hin. Im Vergleich zu den Kontrollen leiden die Fälle häufiger an Gicht, Armfraktur, Hüft-OA, Knie-OA, Wirbelsäulen-OA sowie Traumata und entzündlichen Erkrankungen an den Finger-, Ellenbogen- und Schultergelenken. Die Dauer der Exposition beträgt bei den untersuchten Fällen durchschnittlich ca. 26 (1 bis 44) Jahre mit einer Tagesdosis von ahv typisch (8)=5,61 m/s2 und ahw typisch(8)=3,34 m/s2. Bei den Kontrollen beträgt die Dauer der Exposition durchschnittlich ca. 25 (0,5 – 49) Jahre mit einer Tagesdosis von ahv typisch(8)=4,49 m/s2 und ahw typisch(8)=2,46 m/s2. Nach Adjustierung von relevanten Confoundern (Studienzentren, generalisierte OA, Traumata und entzündliche Erkrankungen an den Finger-, Ellenbogen- und Schultergelenken) zeigt die Studienanalyse eine statistische signifikante Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen kumulativer HAV-Lebenszeitdosis und muskuloskelettalen Erkrankungen im Sinne der BK 2103.

Nach den abgeschätzten Dosis-Wirkungs-Beziehungen führen die Expositionen von Hand-Arm-Vibrations-Lebenszeitdosis von 142 331 m2/s4 •Tage bei Dhv und 38 724 m2/s4 •Tage bei Dhw zu einer Verdopplung des Risikos von muskuloskelettalen Erkrankungen im Sinne der BK 2103. Ebenso führt die intensive Hand-Arm-Vibrationsbelastung (ahw(8)> 2,5 m/s2) von 1596 Tage (ca.7,3 Jahre) zu einer Verdopplung des Risikos (Dieses ist ein Durchschnittswert und unterscheidet nicht nach einzelnen Erkrankungen).

Nach den Verläufen der Dosis-Wirkungs-Kurven konnten die 10 %- bzw. 30 %-Erhöhungen des Risikos bei den Dhv-Werten von 19 571 (95 % KI: 12 459 bis 45 823) m2/s4 •Tage bzw. 53874 (95 % KI: 34 296 bis 126 137) m2/s4 •Tage und bei den Dhw-Werten von 5 325 (95 % KI: 3 492 bis 11 122) m2/s4 •Tage bzw. 14 658 (95 % KI: 9 611 bis 30 615) m2/s4 •Tage

Stand:

12.09.2022

Projekt

Gefördert durch:
  • Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV)
Projektdurchführung:
  • Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)
  • BG BAU - Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft
  • Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI)
  • Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM)
Branche(n):

-branchenübergreifend-

Gefährdungsart(en):

Lärm/Vibrationen

Schlagworte:

Epidemiologie, Prävention

Weitere Schlagworte zum Projekt:

Hand-Arm-Vibration, Fall-Kontroll-Studie, Dosis-Wirkungs-Beziehung

Weitere Informationen