Lärm – zwischen Wahrnehmung und Wirkung
Zwei Mal das Logo "Tag gegen Lärm". Zu sehen ist jeweils ein rotes Oktagon, in dessen Mitte die Weltkugel mit Kopfhörern zu sehen ist, Das diesjährige Motto lautet: "Mach' mal leise"

Lärm – zwischen Wahrnehmung und Wirkung

Was bedeutet für Sie #Lärm? Ein Presslufthammer? Ein Düsenflugzeug? Techno-Musik? Auf jeden Fall können diese Geräusche das Gehör dauerhaft schädigen. Doch ist Lärm nicht zwangsläufig mit „laut“ gleichzusetzen.

Was Lärm eigentlich ausmacht und wie er sich sonst noch auf unseren Körper auswirkt, erklärt Jan Selzer anlässlich des anstehenden #WelttaggegenLärm" im Interview. Er ist Lärmexperte im Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) und beschäftigt sich insbesondere mit Fragen der #Psychoakustik.  

Porträtfoto Jan Selzer
Jan Selzer, Lärmexperte im Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA)

Herr Selzer, ist Lärm eigentlich gleich Lärm? Will heißen: Gibt es einen Unterschied zwischen zum Beispiel lautem Stimmengewirr und Maschinengeräuschen?

Grundsätzlich ist Lärm unerwünschter Schall, ganz unabhängig davon, ob er mein Gehör schädigt oder nicht. Eine Mücke, die uns nachts umfliegt, kann extrem störend wirken, obwohl ihr Summen nur sehr leise ist. Andererseits kann die laute Rockband in der Lieblingslocation ein akustischer Genuss sein, bei dem allerdings der Gehörschutz nicht fehlen darf!

Lärm hat demnach viel mit der persönlichen Einstellung zu tun?

Ob Geräusche stören, hängt tatsächlich mit den individuellen Voraussetzungen, Neigungen und Ressourcen zusammen. Aber auch die Situation hat Einfluss: So wird beispielsweise Hintergrundmusik im Einzelhandel von manchen als nervtötende Störung empfunden, von anderen hingegen als motivierender Antrieb genutzt. Zusätzlich kommt es darauf an - und da sind wir dann beim situativen Aspekt - ob ich dort arbeite und denselben Song zum x-ten Mal höre oder nur einmal in der Woche durch das Geschäft laufe.

Also ist Lärm nur dann ungesund, wenn er uns stört?

Leider nein! Ob Schall von uns als gut oder schlecht empfunden wird, ändert nichts daran, dass ab einem Schalldruckpegel von 85 Dezibel (dB(A)) objektiv für alle das Risiko einer Gehörschädigung besteht. Außerdem kann Schall, egal ob laut oder leise, auch andere gesundheitliche Effekte haben, die nicht das Gehör betreffen - sogenannte extra-aurale Wirkungen.

Was für Wirkungen sind das, die nicht das Gehör betreffen?

Studien belegen, dass der Körper ganz unabhängig von unseren Empfindungen bereits ab dauerhaften Schalldruckpegeln von 60 Dezibel (dB(A)) reagiert. Solche Geräuschpegel sind zum Beispiel im Kassenbereich von Supermärkten durchaus üblich. Veränderter Blutdruck oder ein Anstieg der körpereigenen Stresshormone sind mögliche Folgen. Daneben gibt es psychische Effekte wie Anspannung, Unruhe oder Verärgerung, die sogar schon ab Schalldruckpegeln von 30 Dezibel (dB (A)) wirksam werden können. Vor allem bei solchen „leiseren“ Lärmkulissen kommen dann die Art des Geräuschs, aber auch wieder die persönliche Einstellung und die Situation ins Spiel.

Wie steht es um die Gehörerholung? Was empfehlen Sie da?

Anders als die Augen, die ich einfach schließen kann und damit die optischen Reize aussperre, kann ich meine Ohren nicht einfach zumachen. Das Gehör ist immer aktiv und sendet Trigger an unser Gehirn und unser zentrales Nervensystem. Deshalb empfehlen sich grundsätzliche Pausen von der täglichen Rundumbeschallung. Um vor allem von den psychischen Effekten störender Geräuschkulissen zu entspannen, ist aber nicht zwangsläufig völlige Stille erforderlich. Hier entscheidet jeder und jede selbst, wo und wie er oder sie am besten abschalten und runterkommen kann. Denn Ruhe bedeutet nicht gleich Stille.

Warum? Hier gibt's die Antwort.


Junge Frau sitzt längs auf der Fensterbank im Fenster. Sie lehnt mit dem Rücken an der Wand und hat ein Bein angewinkelt. Sie hat Kopfhörer auf und die Augen geschlossen.
Musik hören kann entspannend sein. Ist sie zu laut, kann sie aber auch dauerhaft das Gehör schädigen.


Gibt es auch die Möglichkeit, sich von gehörschädigendem Lärm zu erholen?

An sich nicht. Wenn das Gehör einmal geschädigt ist, gibt es keinen Weg zurück. Grundsätzlich sollte daher der Aufenthalt in solchen Lärmumgebungen gemieden werden. Am Arbeitsplatz sind sogenannte Lärmbereiche speziell gekennzeichnet, die Unternehmen sind verpflichtet den Lärm weitestgehend zu verringern und die Benutzung von #Gehörschutz ist obligatorisch. In der Freizeit gelten andere Spielregeln. Gehörschädigender Lärm, zum Beispiel bei einem großen Fußballspiel in der Fankurve, trägt nicht nur zu einer dauerhaften Hörschädigung bei, sondern führt auch zu einer vorübergehenden Hörschwellenverschiebung. Gönnt man den Ohren dann Ruhe - diesmal im besten Fall wirklich Stille -, kann sich das Gehör durchschnittlich innerhalb von 16 Stunden regenerieren. Das funktioniert aber nicht auf Dauer. Wenn ich mir also privat regelmäßig gehörschädigende Pegel zumute, tritt auch hier mittelfristig ein Gehörschaden ein. Und der lässt sich dann nicht mehr reparieren, auch nicht durch ein Hörgerät. Deshalb empfehle ich für ein möglichst lange möglichst gesundes Gehör: Lautstärke runter oder Gehörschutz auf!

#InternationalNoiseAwarenessDay

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